Donnerstag, 30. Juli 2020

Lebenserfahrungen

Geh deinen Weg, zielorientiert, bewusst und mutig - und gelassen und geduldig.

Setze dir Ziele! 
- erreichbar
- messbar
- attraktiv 

Gehe Veränderungen langsam an, denn sonst könnten sie nicht nachhaltig sein und dein Vorhaben bricht zusammen wie ein Kartenhaus. 

Du hast nicht alles im Griff. Krankheit und Schicksalsschläge können dich behindern - aber nicht aufhalten. 

Lebe in der Gegenwart und lerne aus der Erfahrung. Die Zukunft gibt dir Richtung und Überraschungen. 

Überblicke dein Leben ab und zu aus der Vogelperspektive und siehe deinen Weg über die Jahre hinweg. Du wirst einen Sinn finden, wenn du willst - so ist der Mensch. 

Rückschritte, Misserfolg, Scheitern gehören dazu. Beharrlichkeit bringt dich weiter, auch wenn dein Weg sich wandelt.

Gib nicht auf!

Entspannen will gelernt sein. Nicht jedem gelingt die Meditation. Ruhe finden. Gedankenimpulse sein lassen. Zeit Zeit sein lassen. Nicht mehr suchen: "Was tun?" Nicht mehr Tun tun müssen. Sich anfreunden mit dem Nichtstun. Für manche kein Leichtes. 

Versuche dein Leben in Phasen zu entdecken. Gib Ihnen einen Namen. Was gibt dir ein gutes Gefühl in deinem Leben? Wo haderst du noch? Was sind deine Lebensthemen? Bei was scheint jede Mühe vergebens? 

Samstag, 11. Juli 2020

Mängelliste Psychiatrie

Mit dieser Liste sollen Mängel in der Psychiatrie benannt werden, die der LVPEBW besonders im Blick hat:

1. Partizipation Psychiatrieerfahrener ist nicht ausreichend 

Als Mitglied der AG Partizipation setzt sich der LVPEBW dafür ein, dass sich die Partizipation Psychiatrieerfahrener bei den Entscheidungen und Prozessen bezüglich der Förderung seelischer Gesundheit auf allen Ebenen verbessert. Im Speziellen führt der LVPEBW zusammen mit dem Landesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen das Projekt IPAGs durch, dass die Partizipation Psychiatrieerfahrener und Angehöriger im Gemeindepsychiatrischen Verbund (GPV) stärkt. Um dieses Ziel zu erreichen, soll eine Beratungs- und Unterstützungsstelle auf Landesebene eingerichtet und dafür ein Vollzeitstelle geschaffen werden. Der Projektleiter organisiert Informationsveranstaltungen und Schulungen für die Interessenvertreter*innen der Psychiatrieerfahrenen und Angehörigen. Zudem sammelt er gelungene Beispiele von GPV-Partizipation der Selbsthilfe, um diese auszuwerten und soweit wie möglich auf andere Kreise zu übertragen. Eine weitere Aufgabe wird es sein, aus den Erfahrungen mit den GPVs Standards für gute Interessenvertretung zu entwickeln. Auch vor Ort soll der Projektleiter tätig werden und in ausgewählten Kreisen die Interessenvertreter*innen und die Selbsthilfe seelische Gesundheit unterstützen, was als Nebeneffekt auch den beiden Selbsthilfeverbänden der Psychiatrieerfahrenen und Angehörigen nutzt. 
Ein gut funktionierender GPV ist für den LVPEBW ein besonders wichtiges Anliegen, damit es den psychiatrischen Akteuren in gemeinsamer Verantwortung endlich gelingt, die kommunale Psychiatrie wirklich gemeindenah und Versorgungsgrenzen überschreitend zu gestalten. Ende Juni 2020 wurde der entsprechende Förderantrag bei Aktion Mensch gestellt, der die Finanzierung des Projektes sicherstellen soll. 


2. Zuwenig Recovery in Baden-Württemberg 

Recovery ist eine Haltung und zugleich Methode und Konzept, um zur Genesung von seelischer Erschütterung zu gelangen. Es handelt sich um einen langfristigen Entwicklungsprozess bei dem der Glaube an Besserung, das Aufrechterhalten von Hoffnung und die Sinnfindung von zentraler Bedeutung sind. Es geht nicht um Symptomfreiheit, sondern darum, dass für jeden Menschen, unabhängig von der Schwere seiner Einschränkung, ein erfülltes und gutes Leben möglich ist. Rückschritte, Krisen und Stagnation können selbstverständlicher Bestandteil eines sehr individuellen Recoverywegs sein.

Der LVPEBW hat das Ziel, dass Psychiatrie-Fachpersonal reoveryorientiert arbeitet, psychiatrische Unterstützungssysteme recoverybasiert strukturiert sind und vor allem, dass Menschen, die in psychischen Krisen sind oder waren, von Recovery profitieren. 
Dazu unterstützt der LVPEBW den Aufbau und die Vernetzung von Recoverycolleges, bietet Recoverykurse für Menschen mit seelischen Problemen an und führt Recoveryschulungen für Fachpersonen durch. Darüber hinaus engagiert sich der LVPEBW auch politisch für die Verbreitung von Recovery ein. 


3. Heimbewohner brauchen Unterstützung  

Seit vielen Jahren wird versucht Fern- und Fremdplatzierungen psychiatrieerfahrener Menschen zu verhindern. Damit ist gemeint, dass Psychiatrieerfahrene teilweise in fernen anderen Bundesländer aufgenommen werden, weil es vor Ort keine passenden Angebote gibt und noch relativ junge Psychiatrieerfahrene in Altersheimen wohnen müssen oder in Pflegeheimen, obwohl sie Anspruch auf Eingliederungshilfe hätten. Im Gegensatz zu Pflegeheimen, wird in Heimen der Eingliederungshilfe besonderen Wert auf die Inanspruchnahme und Entwicklung von Teilhabe gelegt. 

Diese Praxis ist im Grunde genommen ein Skandal. Darüber hinaus gibt es immer noch Heime in denen die Rechte und die Würde der Bewohner missachtet werden. 

Die Unterstützung bei der Strukturierung des Tagesablaufs ist mit das Wichtigste, um bestmöglich die Chance zu erhalten, dass den Heimbewohnern der Schritt aus dem Heim heraus gelingt, in eine freiere Wohnform. Die Gefahr ist groß, sich im Heim an die umfassende Hilfen zu gewöhnen und zu hospitalisieren. Diese Tagesstrukturierung ist nur in Heimen der Eingliederungshilfe ausreichend gegeben. 

Übrigens gibt es im neuen SGB IX, wo die Eingliederungshilfe geregelt ist den Begriff des Heimes nicht mehr. Diese Art des Wohnens wird jetzt "besondere Wohnformen" bezeichnet. 

Der LVPEBW spricht diese Themen auf Orts- und Landesebene kontinuierlich in den zuständigen Gremien an und ist mit Heimbewohnern in Kontakt. Um Heimbewohner diesbezüglich erfolgreich zu unterstützen, braucht es einen langen Atem, da hier viele unterschiedliche Interessen zusammentreffen und oft ökonomische Überlegungen im Vordergrund stehen. 


4. Die Rechte und die Bedürfnisse der Psychiatrieerfahrenen werden missachtet 

Psychiatrieerfahrene sind in hohem Maße gesellschaftlich und individuell stigmatisiert. Häufig werden ihre Rechte und ihre Bedürfnisse missachtet. Aufgrund ihrer psychischen Einschränkungen gelingt es ihnen oft nicht, sich durchzusetzen. Mit unter anderem Sozialarbeit, gesetzlicher Betreuung, der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB) und in Baden-Württemberg mit den flächendeckenden Informations-, Beratungs- und Beschwerdestellen (IBB-Stellen) wurden deswegen Strukturen geschaffen, die Psychiatrieerfahrene unterstützen. Trotzdem treten immer wieder Situationen auf bei denen Psychiatrieerfahrene nicht zu ihrem Recht kommen. 

In dieser Hinsicht sind besonders die Sicherungs- und Zwangsmaßnahmen in den meist geschlossenen Aufnahmestationen der psychiatrischen Kliniken zu nennen. In den letzten Jahren hat sich hier die Gesetzgebung sehr zu Gunsten der Patienten geändert. Konkrete Vorschriften und Richtervorbehalte wurden eingeführt, wo früher das erlaubte und verbotene Vorgehen des Personals nur vage angedeutet war und Willkür dadurch gefördert wurde. Mit Zwang und Gewalt in der Psychiatrie werden entscheidende Rechte unserer Verfassung berührt, nämlich das Recht auf körperliche Unversehrtheit, die Unantastbarkeit der Menschenwürde und viele andere Freiheitsrechte. 

In diesem Kontext erleben viele Psychiatrieerfahrene viel Leid. Etliche sind durch das Erleben von Zwang und Gewalt, wie zum Beispiel Fixierung, Zwangsmedikation und Isolierung lebenslang traumatisiert und verlieren dauerhaft ihr Vertrauen in die Psychiatrie und deren Personal. 

Der LVPEBW war 2015 beim Entstehen des Psychisch-Kranke-Hilfe-Gesetz (PsychKHG) Baden-Württemberg beteiligt und konnte so auch in dieser Hinsicht Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen. Leider wurden eine wichtige Forderung des LVPEBW zur Zwangsbehandlung nicht ins Gesetz übernommen 

In den letzten Jahren hat der LVPEBW dieses Thema etwas aus den Augen verloren, was nicht zuletzt durch die diesbezüglich heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der Selbsthilfe Psychiatrieerfahrener begründet ist.  Einige Jahre sind seitdem vergangen und im Vorstand des LVPEBW gibt es inzwischen grundsätzlich Einigkeit, was die Haltung zu Zwang und Gewalt in der Psychiatrie anbelangt. Es ist an der Zeit, dass sich der LVPEBW wieder mehr dazu äußert, wenn sich die passende Gelegenheit dazu bietet.


5. Psychopharmaka dominieren die Psychiatrie 

In der Psychiatrie hat sich inzwischen das bio-psycho-soziale Verständnis einer psychischen Problematik durchgesetzt. Das bedeutet, dass fast jede psychische Störung durch den Körper, hier vor allem der Hirnstoffwechsel, durch die Persönlichkeit und den Geist und durch das soziale Umfeld bedingt ist. Die Kunst der Behandlung und der Begleitung ist es, den Einfluss der verschiedenen Faktoren zu verstehen, zu bewerten und so zu verändern, dass es im besten Fall zur Heilung kommt. 

Das Hilfesystem ist (leider) so aufgebaut, das jede Profession dabei ihren Schwerpunkt setzt. Die klinische Psychiatrie betrachtet besonders den Stoffwechsel und greift meist zu Psychopharmaka, um die Symptome in den Griff zu bekommen, die Psychotherapie beschäftigt sich vor allem mit den Emotionen, den Gedanken und dem Verhalten des Patienten und die Gemeindepsychiatrie nimmt vor allem das soziale Umfeld in den Blick und sucht dort nach Möglichkeiten, die Leiden der betroffenen Menschen zu lindern. Inzwischen kommt es manchmal vor, dass man Fachpersonen trifft, die versuchen alle drei Faktoren zu berücksichtigen, was systembedingt schwierig ist und eher in seltenen Fällen gelingt. 

Wenn man mit der Psychiatrie in Kontakt kommt, wird man fast immer vor die Wahl gestellt, ob man Psychopharmaka nimmt oder nicht - eigentlich immer. Und häufig werden einem die Medikamente so präsentiert, dass man nicht wirklich eine Wahl hat. Fast alle Psychiatrieerfahrene - oder zumindest sehr viele - sträuben sich dagegen Psychopharmaka einzunehmen, sind sie doch gesundheitsschädlich, können üble Nebenwirkungen haben und verändern auf die Dauer die Persönlichkeit. Eine Psychiatrie ohne Psychopharmaka ist also nicht vorstellbar. 

Im Gegensatz zur nichtpsychiatrieerfahrenen Bevölkerung, wo gemeinhin der Glaube an Psychopharmaka sehr hoch ist, neigen viele Psychiatrieerfahrene dazu innerpsychische oder soziale Erklärungsversuche zu bevorzugen. 

Es ist unumstritten, dass Psychopharmaka oft positiv auf die Symtome der psychischen Störung wirken. Viele kritisieren jedoch, dass  die zugrundeliegende Problematik unbearbeitet und unverändert bestehen bleibt. Eine wirkliche Genesung findet nicht statt und die Abhängigkeit von Psychopharmaka dauert an. 

Ebenso als schwierig wird angesehenen, wenn der Patient seine ganze Hoffnung auf die Medikamente setzt und somit die Gefahr besteht, das er andere, nichtmedikamentöse Therapieformen vernachlässigt, die zu einer Verbesserung seiner Befindlichkeit führen könnten. Wie oben gesagt, ist der Königsweg alle drei Einflussfaktoren zu beachten. Hier zu guten Lösungen zu kommen ist oft ein langer, wechselhafter Weg. 

Von vielen Seiten wird auch bemängelt, dass es kaum Psychiater gibt, die sich gut mit der Reduktion und dem Absetzen der Medikamente auskennen und auch wagen, dies zu tun. Aus Unsicherheit und Angst vor einem Rückfall wird dann lieber noch ein weiteres Medikament dazugegeben, als eines durch das neue zu ersetzen. So entstehen bei manchen Patienten wahre Medikamentencocktails, die auch für den Fachmann unberechbar und vermehrt gesundheitsschädlich sind. Letztendlich ist es häufig ein langes Ausprobieren, bis das richtige Psychoparmakon in der richtigen Dosierung gefunden wird. 

Häufig liegt es gerade auch an der Unkenntnis der Psychiater, wie man richtig reduziert und dann absetzt, dass erneute Krisen oder negative Reaktionen auf die Medikamentenreduktion auftreten. Dann bekommt der Patient oder seine psychische Problematik die Schuld, obwohl eigentlich der Psychiater für die Verschlechterung die Verantwortung hat. 

Schon lange ist der Teufelskreis bekannt, der durch den Druck und den Zwang ausgelöst wird, den Psychiater teilweise immer noch auf die Patienten ausüben. Der Psychiater fordert den Patienten nachdrücklich auf die Psychopharmaka einzunehmen. Manchmal sogar mit der Drohung in sonst nicht weiter zu behandeln. Weil der Patient nicht wirklich von seinen Medikamenten überzeugt ist und vielleicht auch Nebenwirkungen auftreten, setzt er sie abrupt ab. Es ist erwiesen, dass vor allem bei Neuroleptika, die Rückfallgefahr um ein Vielfaches erhöht ist, wenn sie nicht nach und nach ausgeschlichen werden. Die Fachleute nennen das das Auftreten einer Absetzpsychose. Also gerät der oben genannte Patient erneut in eine Krise. Wenn er dann beim Psychiater vorspricht, wird im vorgeworfen, die Medikamente abgesetzt zu haben. Sein Widerstand gegenüber dem Psychiater erhöht sich und das Vertrauensverhältnis ist belastet, sodass sich der ganze Vorgang beim nächsten Mal wiederholt. So gilt bei dem Verschreiben von Psychopharmaka das altbekannte Motto "Verhandeln statt behandeln", woran sich in den letzten Jahren die Psychiater auch vermehrt orientieren. Aber Psychiater der alten Schule gibt es immer noch. 

Weiter ist es unverantwortlich, das manche Psychiater immer noch jungen Menschen prophezeien, dass sie ihr ganzes Leben Psychopharmaka nehmen müssten und nie mehr ganz gesund werden würden. Dazu kann mit dem Spruch von Karl Valentin geantwortet werden: "Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen". Ernsthaft: eine Leben kann so unerwartet verlaufen, dass eine Fachperson einem Psychiatrieerfahrenen nicht die Hoffnung auf Genesung nehmen darf. Sicher sollten keine übertrieben positive Aussagen gemacht werden, aber die Aussicht auf ein psychopharmakafreies Leben, sollte dem Patienten nicht genommen werden. Wenn er dann nach wiederholten, negativen Erfahrungen mit Reduzieren oder Absetzen selbst auf die Erkenntnis kommt, dass er die Medikamente einfach braucht, dann ist das etwas anderes. 

Man kann sogar so weit gehen, dass jeder Patient mindestens einmal einen von einem Facharzt begleiteten Absetzversuch unternehmen sollte, denn wie sonst sollte er seine Minimaldosis kennen lernen, die so wichtig, für ein weitestgehend beschwerdefreies Leben ist. Nicht immer, aber häufig ist auch eine erneute akute Krise keine Katastrophe und die Angst davor sollte das Leben des Patienten nicht beherrschen. Und nicht selten sind solche Krisen der Beginn einen besseren Weg zu finden und sich und das eigene Leben besser zu verstehen. 

Es ist ein Segen, dass die Pharmaindustrie immer bessere Wirkstoffe entwickelt, aber dass die medizinisch-biologische Psychiatrie solch große Bedeutung erlangt hat und das nicht zuletzt, weil enorme Gelder in die entsprechende Forschung geflossen sind, das ist letztendlich nicht hilfreich für den Patienten. Dazu ist zu bemerken, dass sich die Pharmaindustrie in bestimmten Bereichen, wie zum Beispiel bei den Antipsychotika, die Forschung weitgehend eingestellt hat. Es rechnet sich nicht mehr. Die Manager dieser Unternehmer glauben nicht mehr daran, so wirksame Wirkstoffe zu entdecken, mit denen die enormen Investitionen ausgeglichen werden können und ein Milliardengeschäft gemacht wird, wie mit bestimmten Marken in der Vergangenheit geschehen. Bei den Neuroleptika werden derzeit bestehende Wirkstoffe variiert und Details verändert. Das scheint immer noch gewinnträchtig zu sein. 

Noch eine Bemerkung zu den Ärzten. Es ist auch systembedingt, dass Ärzte so viel Psychopharmaka verschreiben. Es fehlen finanzielle Anreize für die Fachärzte, sich für ein Gespräch Zeit zu nehmen. Solange viele Besuche beim Psychiater weniger als 15 Minuten dauern, weil die Vergütung von Gesprächen so schlecht ist, bleibt den Psychiatern gar nichts anderes übrig, als zum Rezeptblock zu greifen, zumal sie das in ihrer Ausbildung am besten gelernt haben. Manchmal ist es auch ein Zeichen von Hilflosigkeit oder das Zeigen und Empfinden ihrer Daseinsberechtigung. 

Es ist kein Zufall, dass viele Psychiater nur noch Psychotherapie anbieten, vermutlich weil sie den Patientinnen ganzheitlicher erleben und ihn eine zeitlang intensiver begleiten können und nicht zuletzt, weil es auch lukrativer ist. Schade nur, dass dadurch der Mangel an Psychiatern vor allem in ländlichen Gebieten noch größer wird. 

An dieser Stelle noch ein Exkurs zu den psychiatrischen Kliniken, die häufig im Zentrum der Psychiatriekritik stehen, weil dort Zwangsmaßnahmen durchgeführt und besonders viel Psychopharmaka gegeben werden. Vielen Patienten wird in der Klinik tatsächlich geholfen, manchmal dort sogar das Leben gerettet. Es ist einfach schwierig, wenn schwer akut psychisch kranke Menschen Tag und Nacht auf engem Raum zusammen sind. Aber die Psychiatrien werden dringend gebraucht und vor allem Menschen, die bereit sind darin zu arbeiten. 

Wenn die Mitarbeitenden im Ambulant betreuten Wohnen, im Sozialpsychiatrischen Dienst, in der Tagesstätte usw. nicht mehr weiterkommen, sind sie froh, dass es die psychiatrischen Kliniken gibt. Ich finde das Klinikpersonal kann sogar stolz darauf sein, dass es ihm gelingt manchmal viele Jahre eine sehr gute Arbeit zu machen. Sie sind ganz nahe dran an den Menschen, die sie mit ihren akuten Störungen notwendig brauchen. Viele Patienten geben schnell der Klinik die Schuld, dass es ihnen dort schlecht geht. Dass sie im Moment schwer belastet sind und selbst schwierig im Umgang sind, sehen sie nicht. 

Man sollte es sehr positiv sehen, dass es vereinzelt auch Peers gelingt, auf Aufnahmestationen zu arbeiten. 

Sicherlich ist einiges in psychiatrischen Kliniken verbesserungswürdig und das oben Gesagte soll kein Plädoyer dafür sein, die Anzahl der stationären Klinikplätzen immer weiter zu erhöhen, aber mit der häufigen Pauschalkritik tut man den Kliniken und vor allem dessen Personal Unrecht. Wo kommen wir hin, wenn immer weniger Fachpersonen bereit sind im klinischen Kontext zu arbeiten? Das wollen dann doch sogar die meisten extremen Psychiatriekritiker nicht. 

Dieser Punkt 5 sollte auch keine Generalabrechnung mit den Psychiatern sein, denn viele davon sind unverzichtbar für ihre Patienten und machen trotz schwieriger Rahmenbedingungen hervorragende Arbeit. Teilweise sind es auch Mutmaßungen über die Beweggründe der Ärzte und deren Charakter. Es sind Gedanken, die in fast 40 Jahren als Patient entstanden sind. Zumindest auf diesem Hintergrund haben diese wohl schon ihre Berechtigung. 

Die Vorstände des LVPEBW haben alle eine gute Expertise bezüglich Psychopharmaka und es gibt derzeit eine AG, die sich speziell mit Erfahrungen mit Neuroleptika auseinandersetzt - auch wie man diese reduzieren kann. Letztendlich wird das Thema aber im LVPEBW nicht seiner Bedeutung entsprechend gewürdigt, vermutlich weil die Vorstände alle schon älter sind und sich für sich schon genügend damit beschäftigt haben. 


6. Außerhalb der üblichen Dienstzeiten gibt es kaum Unterstützung bei psychischen Krisen

Seit bestimmt 2 Jahrzehnten bemühen sich die Verbände der Angehörigen, der Psychiatrieerfahrene, aber auch Fachverbände, dass der Umgang mit psychischen Krisen vor allem außerhalb der üblichen Dienstzeiten der psychiatrischen Hilfen verbessert wird. In diesen Zeiten sind die Betroffenen in der Regel alleingelassen in ihren Nöten und Leiden. In Bayern werden nun entsprechend dessen Psychisch-Kranken-Gesetz flächendeckend von den Bezirken psychosoziale Krisendienste mitfinanziert. In Baden-Württemberg ist man davon noch meilenweit entfernt. 

Schon vor 15 Jahren hatte das Sozialministerium eine Konzeption vorgelegt, die von den beteiligten Verbänden im Prinzip nur bestätigt und dann an die Stadt- und Landkreise und an die Träger von psychiatrischen Einrichtungen ohne größere Wirkung verschickt wurde. Das Land lehnte darin jegliche finanzielle Beteiligung ab und schaffte dadurch keine Anreize für die Kommune, außer an deren guten Willen zu appellieren. Nur vereinzelt entstanden darauf vor Ort Initiativen. Das Papier verschwand in den Schubladen und Krisendienste blieben weiterhin eine unerfüllte Forderung. 

Nun wurde vor kurzem eine Unterarbeitsgruppe (UAG) des Landesarbeitskreis Psychiatrie Baden-Württemberg (LAK) gegründet. Der LAK ist ein beratendes Gremium des Sozialministeriums. Alle die mit Psychiatrie befassten Akteure auf der Landesebene sind dort Mitglied, also auch die Psychiatrieerfahrenen und die Angehörigen. Der Start der UAG verlief für die Psychiatrieerfahrenen nicht gerade hoffnungsvoll. Erwartungen wurden enttäuscht.  

Zumindest die Psychiatrieerfahrenen fordern Konzeptionen für Krisendienste, die im besten Fall rund um die Uhr jeden Tag zugänglich sind. Auf jeden Fall müssen die Zeiten abends, nachts, am Wochenende und an den Feiertagen abgedeckt sein. Es muss jedem Bürger möglich sein, auch ohne psychiatrische Diagnose den Krisendienst in Anspruch zu nehmen. Neben der telefonischen Beratung an einem Ort, der von den Betroffenen aufgesucht werden kann, muss es multiprofessionelle Krisenteams geben, die in bestimmten Fällen auch aufsuchend tätig werden. Noch besser ist es, wenn eine Krisenwohnung oder zumindest Krisenbetten zur Verfügung stehen, wo die Menschen in Krisen, sich mit professioneller Unterstützung einige Tage zurückziehen können, um ein potentiell belastendes Umfeld verlassen zu können. 

Wenn sich die Unterarbeitsgruppe so weiterentwickelt, ist abzusehen, dass es, wenn überhaupt, nur kleine Lösungen geben wird, die den Bedürfnissen der Betroffenen nicht genügen. 

Das Problem der Krisendienste ist wieder ein gutes Beispiel dafür, dass sich Menschen seit vielen Jahren für etwas einsetzen und sich fast alle einig sind, dass es sich um eine gute Sache handelt, aber auch seit vielen Jahren scheitert es am Geld. 

Solange niemand einen Anfang macht und bereit ist finanzielle Mittel für Krisendienste bereit zu stellen, wird es nur singuläre Insellösungen an den Orten geben, wo es Verantwortliche gibt, die regional begrenzt die Finanzierung sicherstellen. Damit ist aber nur wenigen Betroffenen geholfen. 

Der entscheidende Akteur in dieser Sache ist das Land, das ein Zeichen setzen kann, indem ein bestimmter Anteil an der Finanzierung von Krisendiensten übernommen wird und nicht die Verantwortung auf die Kommunen abgeschoben wird. Dann wird in das Ganze Bewegung kommen und vielen Menschen Leiden abgenommen, was nicht zuletzt teuere Klinikaufenthalte reduzieren und in bei den Krankenkassen Geld einsparen wird. Nebenbei erwähnt, zeigen sich hier wieder einmal die Nachteile unseres vielgliedrigen  Finanzierungssystems für soziale Leistungen, in denen jeder Kostenträger den Fokus nur auf sein Budget hat. 

7. Die Selbstvertretungen Psychiatrieerfahrener sind immer noch zu schwach

Seit 1992 gibt es die organisierte Selbstvertretung Psychiatrieerfahrener in Deutschland. 1993 wurde der LVPEBW gegründet. Seitdem ist dessen Mitgliederzahl auf 450 psychiatrieerfahrene Menschen gestiegen. Viel im Vergleich mit anderen Selbsthilfeverbänden zum Thema seelische Gesundheit, sehr wenig in Anbetracht der vielen Menschen mit psychischen Störungen in Deutschland. 

Im Gegensatz zu den Interessenvertretungen der körper- und sinnesbehinderten Menschen sind die Psychiatrieerfahrenen weit unprofessioneller aufgestellt, haben weniger wirklich kompetente Mitarbeitenden und vor allem weniger Mittel zu Verfügung. 

Zweifellos liegt das daran, dass es psychisch eingeschränkten Menschen häufig schwerer fällt  sich kontinuierlich und zuverlässig für eine Sache zu engagieren und diejenigen die ihre Problematik ausreichend überwunden haben, haben oft kein Interesse daran ihre Psychiatrieerfahrung öffentlich offen zu legen. 

Somit sind es wenige Aktivisten, die sich gesundheitspolitisch für die Anliegen von Menschen mit Erfahrungen mit schweren psychischen Krisen einsetzen. Zudem ist es auch ein Zeichen unserer Zeit, dass sich immer weniger Menschen überhaupt dauerhaft sozial engagieren und zuverlässig dabei zu bleiben ist bei politischer Arbeit unverzichtbar, um erfolgreich zu sein. 

Dazu kommt, dass psychiatriepolitische Arbeit großes Fachwissen voraussetzt, das entweder schon vorhanden sein oder erst nach und nach erlernt werden muss. Neben der Herausforderung in politischen Gremien oder gar auf Veranstaltungen vor meist fremden Menschen zu sprechen, ist das auch eine große Hürde für viele Psychiatrieerfahrene. 

Es ist seit längerem festzustellen, dass die Selbsthilfeaktiven immer älter werden, dass heißt, jüngere Menschen sind mit den üblichen Mitteln nicht (mehr) zu erreichen. Dass die aktuellen Aktiven fast alle in die Jahre gekommen sind, macht die Vereinsarbeit für junge Menschen auch nicht gerade attraktiv. 

Als letzter Grund für die wenigen Selbsthilfeakteure sei hier erwähnt, dass politische Arbeit ein zähe Angelegenheit ist. Oft erst nach Jahren wird ein deutlich sichtbarer Erfolg erzielt und es muss einem gegeben sein, in vielen Gremien zu sitzen, ohne am Ende ein wirkliches Ergebnis zu sehen. Man muss Spass am Diskutieren und das Motto verinnerlicht haben "Schön, dass wir darüber geredet haben".

Wenn jemand all diese Dinge nicht abschrecken, dann kann er bei der Verbandsarbeit sehr erhebende Erlebnisse haben, viele interessante Begegnungen erleben und oft wird dann aus einer Aufgabe eine Berufung, die ein ganzes Leben erhalten bleibt. 

Was tun? 

Bei Vereinen mit geringen Kapazitäten besteht die Gefahr, dass beim anstrengenden Alltagsgeschäft die Basisarbeit vernachlässigt wird. Also das sich kümmern um neue Mitglieder oder das Gewinnen von neuen Engagierten wird zuwenig oder nicht systematisch betrieben. Es braucht übergreifende Konzepte wie vorgegangen werden kann. Es ist gut, wenn überhaupt etwas in dieser Richtung getan wird, aber wenn es einen längerfristiger Plan gibt, steigen die Chancen erfolgreich zu sein. 

So hat Anfang 2019 der LVPEBW mit dem Projekt "Engagierte gewinnen" begonnen, das leider durch Corona wieder in den Hintergrund getreten ist und auch bei uns stellt sich die Frage, wer sich mit der Themenstellung strukturiert und umsichtig beschäftigt. Vor kurzem hat unsere Verwaltungskraft ein Telefonierhilfeformular entwickelt, mit dem wir ca. 50 Selbsthilfegruppen-Ansprechpartner anrufen wollen, um diese in einen Mailverteiler aufnehmen zu können. Bisher ist es allerdings aus den genannten Gründen nicht dazu gekommen. 

Ebenso war im Mai 2020 ein sogenanntes Enagiertentreffen geplant, dass aber, wie so vieles, auch dem Coronavirus zum Opfer gefallen ist. 

Darüber hinhaus hat der Vorsitzende schon versucht offiziell einen Beraterkreis bzw. später einen Aktivenverteiler aufzubauen, was leider aus internen Gründen beides Mal gescheitert ist. Als neuen Versuch hat er nun eine ganz persönliche Favoritengruppe gegründet, der  er intensiver Informationen zukommen lässt, als dem Rest der Mitglieder. Dieses Vorgehen scheint bisher besser zu gelingen. Die Gruppenmitglieder zeigen Interesse und man darf hoffen, dass dort bald konkrete Aufgaben übernommen werden.  Ein erstes reales  Treffen der Gruppe ist in der Planung, ist aber davon abhängig, dass die Coronasituation dies zulässt. Wichtig ist, wie in der ganzen Arbeit mit Ehrenamtlichen, dass kein unnötiger Druck aufgebaut wird. 

Die gesellschaftliche Entwicklung lässt sich nicht beeinflussen und die Konzepte der Mitglieder- und Aktivengewinnung sollten sich den neuen Gegebenheiten anpassen. Es muss zugeben werden, dass es da beim LVPEBW noch deutliches Entwicklungspotential gibt. 

Grundsätzlich wäre es wünschenswert, wenn es - auch auf der Ortsebene - mehr Psychiatrie-Selbsthilfeakteuren gelänge, gemeinnützige Vereine zu gründen. Davon gibt es in Baden-Württemberg gerade eine Handvoll. Wenn es dann genügend Kompetenz, Mut und Kapazitäten im Verein gäbe, dann wäre der Weg frei auch in der Selbstvertretung Personal anzustellen und eine großer Schritt hin zu mehr Professionalität und Stärke wäre getan. 

Aber in Abwandlung der Eingangsfrage "Was tun?", ergibt sich die oft gestellte Frage in gemeinnützigen Vereinen "Wer tut es?".

8. Der psychiatrieerfahrene Mensch ist nur noch ein Kostenfaktor

Im letzten Punkt soll ein Dilemma angesprochen werden, dass in seiner Bedeutung weit über die Psychiatrie hinausgeht und unser ganzes Sozial- und Gesundheitswesen seit längerer Zeit schon prägt. Die immer noch weiter zunehmende Ökonomisierung von sozialen Leistungen, führt zu teilweise unmenschlichen Zuständen für Patienten und Klienten. Zum Beispiel in Krankenhäuser werden die Menschen schon lange nicht mehr entsprechend ihrem gesundheitlichen Zustand entlassen, sondern dank der DRGs (Fallpauschalen) entsprechend der Tage, die sie im Krankenhaus sind. Jeder Diagnose und deren Behandlung ist eine Anzahl von Tagen für den Klinikaufenthalt zugeordnet. Je früher das Krankenhaus den Patienten entlässt, desto mehr wird an dem Patienten verdient. Bleibt der Patient länger, verdient das Krankenhaus weniger. Wie es dem Patienten geht, ist zweitrangig. Das führt dann in der Somatik zu den sogenannten blutigen Entlassungen. Es lassen sich für die Unmenschlichkeit der Ökonomisierung leicht noch andere Beispiele finden.

In der Psychiatrie wurde zuerst auf diese Fallpauschalen verzichtet, weil psychische Störungen kaum in der Behandlungsdauer berechenbar sind. Doch auch hier wurde seit wenigen Jahren eine spezielle, abgewandelte Form der Fallpauschalen eingeführt, die fachlich umstritten und irgendwann nicht mehr öffentlich diskutiert heute angewandt wird.

Inzwischen müssen viele sozialen Einrichtungen Gewinne erzielen und/oder rigoros Ausgaben reduzieren. Der Mensch ist zum Kostenfaktor und zu einem Objekt in Computertabellen geworden. Konformität wird gewünscht, Individualität erschwert die Berechenbarkeit der Bürger und wird deswegen zunehmend sanktioniert. Das merken nicht nur die häufiger unangepassten und im Umgang und Verhalten schwierigeren Psychiatrieerfahrenen, die zudem oft ein Leben Leben am Rande der Gesellschaft leben, sondern auch andere Menschen, die sich von der Norm deutlich unterscheiden. 

Hinter der ökonomischen geprägten Sozial- und Gesundheitspolitik verbirgt sich im besten Falle das Denken, das Marktmechanismen auch in der Sozialwirtschaft die besten Lösungen für den Hilfebedürftigen erzeugen. Doch Marktmechanismen berücksichtigen eben nicht, dass kranke und unterstützungsbedürftige Menschen nicht als Kunden betrachtet werden können. Vor allem psychiatrieerfahrene Menschen, aber auch andere, vergleichbare Personengruppen, suchen nicht nach dem günstigsten Angebot und bedienen deswegen nicht die Hoffnung, dass das Angebot die Nachfrage regelt und somit den Preis und die Leistung. Sie kommen oft auf Umwegen zu ihren Hilfen und durch andere Umstände, als die Qualität des Angebots. 

Aber auch ganz grundsätzlich ist es Kapitalismus pur, den Patienten oder Klienten nur an seinem materiellen Wert zu messen. Eine ehrliche soziale Marktwirtschaft, die Menschenrechte und auch unsere westliche Werteskala, gehen davon aus, dass alle Menschen dieselbe Würde haben, die geschützt und geachtet werden muss, unabhängig vom Einkommen und Vermögen der Person. Das ist wohl auch der wichtigste Grundsatz in unserer demokratischen Verfassung. 

Sicherlich wird der Reichtum immer unterschiedlich verteilt sein, da sich in Gruppen immer Hierarchien bilden und sich Führer etablieren. Diesem Vorgang muss aber entgegengewirkt werden, denn nur dann bleibt unsere Gesellschaft menschlich und lebenswert für alle. Wenn der Leitgedanke, dass jeder jeden so behandeln sollte, wie er gerne selbst behandelt werden würde, von allen beherzigt wird, gebe es viele soziale Probleme nicht mehr und die Ökonomisierung der Gesellschaft, wie wir sie heute haben, wäre nicht möglich.

9. Psychiatrieerfahrene haben zu oft keine bezahlte Arbeit 

Sehr viele Psychiatrieerfahrene leben von einer kleinen Rente oder Grundsicherung. Es stellt sich die Frage, ob das so sein muss. Die Gesellschaft macht es sich lieber einfach und schließt psychisch belastete Menschen vom Arbeitsmarkt aus, obwohl es durchaus Möglichkeiten gäbe, Psychiatrieerfahrenen Menschen eine Chance zu geben einer bezahlten Arbeit nachzugehen. Die Gesellschaft nimmt lieber die Bezahlung von Transferleistungen in Kauf, als dass wirklich Anstrengungen unternommen werden, dass psychiatrieerfahrene Menschen eine bezahlte Arbeit bekommen. Die Anstrengungen, die manche engagierten Menschen unternehmen, um Psychiatrieerfahrene in Arbeit zu bringen, sind durchaus beachtlich und gut gemeint, leider allerdings oft nicht sehr erfolgreich. Wie oben schon erwähnt, liegt es letztendlich an einer Gesellschaft, die Effizienz und Gewinnmaximierung über das Schicksal von einzelnen stellt. Mit hoch individuellen, unkonventionellen und flexiblen Ansätzen wäre es manchem psychisch Erkrankten trotz seiner Einschränkung möglich zu arbeiten. Die Arbeitsbedingungen sollten den Möglichkeiten der Menschen passend gemacht werden. So würden manche Psychiatrieerfahrener auch mehr leisten können. 

Arbeit ist ein entscheidender Faktor für psychische Gesundheit. Sie kann zahlreiche grundlegende Bedürfnisse des Menschen erfüllen, wie eine gelungene Tagesstrukturierung, die Gelegenheit Beziehung und Kontakt zu erleben, Anerkennung zu bekommen und überhaupt sich in der Mitte der Gesellschaft zu fühlen. 

Wer nicht arbeitet, der kann es fast nicht verhindern am Rande der Gesellschaft zu leben und eine Art Sonderexistenz, meist in einer speziellen Subkultur, zu führen, wenn er oder sie nicht sogar komplett vereinsamt. Der Zusammenhang zwischen Selbstwert und Arbeit lässt sich kaum bestreiten und gerade hier bemerkt man oft, welch fragiles Gebilde der Selbstwert ist, wenn jemand längere Zeit arbeitslos wird. Oft suchen sich die Menschen dann arbeitsähnliche Beschäftigungen. Es sind nur ganz Wenige, denen es gelingt, ohne wirkliche Aufgabe ein zufriedenes Leben zu führen. 

Deshalb ist es umso wichtiger Arbeitsplätze und Unterstützung zu schaffen, die den besonderen Bedürfnissen von psychisch erkrankten Menschen gerecht werden. Dann ist die Chance auch groß, dass der Betroffene einen wertvollen und produktiven Beitrag leisten kann. 

Ein Sonderweg ist die Qualifizierungsmaßnahme Experienced-Involvement (kurz: EX-IN), was sich mit "Erfahrene beteiligen" übersetzen lässt. Hier werden in einem etwa eineinhalbjährigen Wochenendkurs psychiatrieerfahrene Menschen dazu befähigt in der Psychiatrie als Genesungsbegleiter zu arbeiten. Der Grundgedanke ist, dass selbst erlebte schwere psychische Krisen zu einem besonderen Verständnis für Menschen im ähnlichen Situationen führen kann. Menschen  die ihre psychische Problematik überwunden haben, können hilfreiche Vorbilder, Mutmacher und Berater sein. Die EX-IN Qualifikation begann 2005 als europäisches Projekt und inzwischen gibt es in Deutschland ca. 35 Standorte, an denen Kurse angeboten werden. Inzwischen ist EX-IN in weiten Kreisen der psychiatrischen Fachwelt anerkannt. 

Sicherlich ist EX-IN nicht für alle eine gangbare Alternative und es ist immer noch schwierig von einer EX-IN-Anstellung zu leben. Aber für eine doch bemerkenswerte Anzahl von Menschen hat EX-IN eine Perspektive eröffnet und zu neuem Lebensinhalt und Lebensmut geführt. 
















Donnerstag, 9. Juli 2020

Corona-Streiflichter

Dieser Text nennt in kurzen, voneinander unabhängigen Abschnitten Erfahrungen, die wir Psychiatrieerfahrenen mit Corona gemacht haben:

Allgemeine Aussagen
  1. Teilweise ergab sich durch Corona eine weitere Perspektive auf die Unterstützungsangebote, das heißt eingefahrenes Vorgehen muss nun hinterfragt und Neues integriert werden. In manchen Fällen ist zu überlegen, digitalen Austausch weiter beizubehalten. Hierbei sollte aber der Nutzen für den Betroffenen in den Blick genom werden und nicht der Nutzen für die Einrichtung. Auch für den Nutzer kann es eine Erleichterung sein, wenn zum Beispiel bei ihm die Wegstrecke weg fällt - vor allem im ländlichen Raum.
  2. Das Vorgehen der Träger war in den unterschiedlichen Stadt- und Landkreisen sehr unterschiedlich. Manche Träger waren mit den Schutzmaßnahmen sehr vorsichtig, so dass die Regelungen deutlich strenger waren, als die Verordnungen des Sozialministeriums. Es ergibt sich da die Frage, ob dies nicht ein illegaler Entzug von rechtlich gestatteter Teilhabe darstellt? Vor allem in Heimen stellte sich diese Frage - besonders als die ersten Lockerungen verordnet wurden. Aber auch anderweitig gab es dieses Problem.
  3. Neben den Schwierigkeiten, die mit dem Entzug von Freiheit zusammenhängen, zeigte sich vor allem in jüngster Zeit, dass angesichts der Lockerungen auch die Rückkehr in ein "normaleres" Leben nicht einfach ist. Man hatte sich an die Einschränkungen gewöhnt und die Umgewöhnung wieder vermehrt Pflichten und Termine wahrzunehmen, fiel nicht allen leicht.
  4. Teilweise haben Eltern, deren Kinder in Heimen leben, diese zu sich nach Hause genommen - mit all den Konsequenzen, die diese zusätzliche Belastung für sie und die Kinder mit sich brachte.
  5. Menschen, die aus psychischen Gründen keine Maske tragen können, hatten selbst mit einem ärztlichen Attest große Problem sich in der Öffentlichkeit zu bewegen. Sie wurden angefeindet und beschimpft.
  6. Auch die psychiatrische Versorgung ganz allgemein zeigte sich von Region zu Region sehr unterschiedlich. Während es mancherorts aufgrund der zu ergreifenden Schutzmaßnahmen zu Versorgungsengpässen kam, konnte in anderen Regionen die professionelle Unterstützung unter veränderten Bedingungen und Voraussetzungen gut aufrecht erhalten werden.
  7. Auch bei den Psychiatrieerfahrenen war die Reaktion auf den Lockdown ganz unterschiedlich. Während manche Psychiatrieerfahrene kaum Veränderung in ihrem Leben hatten, da sie schon vor Corona zurückgezogen lebten, kamen andere in ernsthafte psychische Krisen und Konflikte eskalierten. Man kann plakativ sagen, "die Schwachen wurden stark und die Starken schwach". Damit ist gemeint, dass Psychiatrieerfahrene, die vorher unter Ausgrenzung und Isolation litten, wenig Probleme hatten und Psychiatrieerfahrene, die vor Corona ein ereignisreiches und vielfarbiges Leben führten, hatten große Schwierigkeiten mit den coronabedingten Veränderungen klar zu kommen.
  8. Viele Psychiatrieerfahrene haben in ihrer Biografie hilfreiche Erfahrungen im Umgang mit existentiellen Krisen gemacht. Aber sie haben auch teilweise sozialen Abstieg hinter sich, leben in finanziell bescheidenen Verhältnissen und sind schön öfters mit Existenzängsten konfrontiert. Da können die möglichen negativen Folgen von Corona auf die persönliche Lebenssituation unter Umständen besser verarbeitet werden, als von Menschen, die in ihrem Leben bisher im Großen und Ganzen keine wirklich schweren materiellen und emotionalen Krisen erlebt haben. 
  9. Vor allem ganz zu Beginn der Pandemie, gerieten die Bedürfnisse der Nutzer komplett aus dem Blick. Sie wurden auf individueller Ebene nicht gefragt, was sie bezüglich der notwendigen Schutzmaßnahmen brauchen und für wichtig halten und auch die Interessenvertretungen waren komplett abgeschnitten von den Überlegungen und den Entscheidungen der verantwortlichen Fachpersonen. Eine Partizipation Psychiatrieerfahrener fand nicht mehr statt. Allerdings muss gesagt werden, dass Corona ein noch nie dagewesener, sehr schwieriger Ausnahmezustand darstellt und sich alle in ihren Möglichkeiten bemühten, die psychiatrische Begleitung und Behandlung so gut wie möglich fortzuführen. Dies zeigt sich auch in dem Ergebnis, dass es zu keiner Überlastung des Gesundheitssystem gekommen ist und man die Infektionszahlen in den Griff bekommen hat. Wir wollen alle hoffen, dass das so bleibt.
  10. Als die Gefahr von Corona deutlich wurde, wurden unserer Wahrnehmung nach in manchen Regionen sämtliche Kooperationen zwischen den Trägern abgebrochen. Es fand unseres Wissens auch kein übergreifender digitaler Austausch auf Trägerebene mehr statt und man hatte den Eindruck, dass jeder Träger zuerst mal um seine Einrichtung bemüht war und nicht mehr über den eigenen Tellerrand hinausschaute. Es ist die Frage, ob das wirklich so sein muss. Ich denke, sollte eine zweite Infektionswelle auf uns zukommen, sind wir gewappnet und halten gleich zu Beginn das ganze regionale Hilfesystem im Blick.
  11. Es hat sich wie in der freien Wirtschaft und in den Schulen gezeigt, dass auch - oder sogar vor allem - die Digitalisierung im Sozialbereich und auch bei den dortigen Klient*innen noch sehr entwicklungsbedürftig ist. In nicht absehbarer Zeit wird digitale Kommunikation ein wesentlicher Bestandteil unseres Alltags bleiben. So wie sich die Sozialunternehmen sich darauf einstellen müssen und Investitionen dafür getätigt werden müssen, so ist es auch notwendig bei den Klient*innen verstärkt darauf zu achten, dass diese in der Bedienung von Laptop, PC, Smartphone und Tablet angeleitet und geschult werden und vor allem Menschen in prekären Lebenssituation Hardware zur Verfügung gestellt bekommen. Ein Internetzugang und die zugehörigen Geräte zu besitzen, kann heutzutage als ein Grundrecht angesehen werden. Menschen, die zu Hause keinen Zugang zum Internet haben, sind informationell und kommunikativ absolut ausgegrenzt und können viele Dinge nur noch sehr umständlich und aufwändig tun beziehungsweise regeln.
  12. Nicht wenige Betroffene haben Hilfe bei den verschiedenen digitalen Unterstützungsangeboten und Telefonhotlines gefunden. Besonders erwähnenswert ist dabei der Rettungs-Ring (rettungs-ring.de), der aus der Ulmer Selbsthilfe seelische Gesundheit heraus ganz früh entstanden ist, als  moderiertes, webbasiertes Video- und Telefonkonferenzsystem. Hier engagieren sich inzwischen zahlreiche Moderatoren und man darf gespannt sein, ob der Rettungs-Ring auch nach weiteren Lockerungen bestehen bleibt. 
  13. Für manche Psychiatrieerfahrene brachte Corona auch bewusst gewählte Veränderungen mit sich, indem sie durch die zu bestehende Ausnahmesituation erkannten, wie sie ihr Leben zum Besseren hin beeinflussen können. Zum Beispiel durch den erstarkten Willen gesunder zu leben oder andere grundsätzliche Werte und Haltungen zu übernehmen. 

Erfahrungsberichte
  1. Eine psychiatrieerfahrene Mutter, deren geistig und körperlich schwer behindertes Kind im Heim wohnt, berichtet von sehr negativen Erfahrungen, die sie damit gemacht habe. Sie konnte ihr Kind 10 Wochen lang nicht sehen. Dass im Heim kein Internet zur Verfügung stand, verstärkte die Problematik, da nicht einmal ein digitaler Kontakt möglich war. Nachdem es erlaubt wurde, das Kind nach Hause zu nehmen, war es schwierig damit zurecht zu kommen, dass bei ersten Anzeichen von Erkältungssymptomen eine 14 tägige Quarantäne drohte. Somit hätte sie 14 Tage Urlaub nehmen müssen, um sich um ihr Kind zu kümmern. Die Frau schreibt, es habe ihr Mutterherz geblutet. 
  2. Eine Frau schrieb uns, dass sie große Probleme habe mit Zoom und ähnlicher Video-Software klar zu kommen. Andere Psychiatrieerfahrene hätten nicht einmal die entsprechende Ausstattung, um am Austausch per Video teilzunehmen. Auch hätte Corona, die ihr schon bekannte Hilflosigkeit und Unsicherheit wieder ausgelöst. Das hätte sie viel Kraft gekostet, nicht wieder in eine psychische Krise zu geraten.
  3. Eine Psychiatrieerfahrene Mutter und Großmutter teilte mit, dass Sie am Anfang der Pandemie Mitte März im Urlaub war und sogar noch eine Freundin besucht hatte. Sie hatte die Freundin schon lange nicht mehr gesehen. Als ein Virologe davon sprach, dass die Kindergärten und Schulen geschlossen werden müssen, konnte sie das nicht glauben. Aber es kam dann ja bekannterweise so. Kurz nach Inkrafttreten der Coronaverordnung, musste sie als pflegerische Fachkraft  wieder weiter arbeiten. Die Stradtbahnen und Busse waren leer, die Menschen zuerst ohne und dann mit Masken. Ihren Enkel durfte sie bis Samstag vor dem Muttertag am 10. Mai nicht sehen und auch dann nur im Freien. Den runden Geburtstag von ihrem Lebensgefährten konnten sie nicht entsprechend feiern. Für die Diamantene Hochzeit vor kurzem, gab es dann aber ein Fest. Die ganze Zeit war sie 1-2 mal wöchentlich bei ihren Eltern, die ihre Hilfe brauchen. Ihnen wurde durch die Enkelin und Schwiegersohn eingekauft. Die Schreiberin hofft sehr, dass die Zahlen nicht wieder ansteigen und erschreckt jedes mal, wenn der Virus irgendwo wieder auftaucht. Dies ist wieder ein gutes Beispiel dafür, dass psychiatrieerfahrene Menschen sehr wohl leistungsfähig sein können und auch schwierige Alltagsherausforderungen bewältigen können. 
  4. Eine psychiatrieerfahrene Mitarbeiterin einer psychiatrischen Klinik beschrieb, wie mit den Patienten in ihrer Klinik umgegangen wurde. Innerhalb von 24 Stunden musste eine komplette Station geräumt werden. Dabei war zu entscheiden, welche Patienten stabil genug sind, um "zu Hause überleben". Es war für die Behandler und die Patienten eine äußerst  schwierige Situation. Die Mitarbeiterin hat den Eindruck, dass die Stationen leer blieben, solange es bezahlt wird. Erst wenn kein Geld mehr dafür fließe, würden die Stationen wieder geöffnet. Sie betont, dass ein Krankenhaus nicht nur unter ökonomischen Gesichtspunkten geführt werden darf, weil es dort um Menschen geht und nicht um eine Ware. 
  5. Eine psychiatrieerfahrene Frau entwickelte zu Beginn der  Pandemie Ängste und wurde aufgrund des Lockdowns psychotisch. Nach und nach erholte sie sich und hat sich inzwischen an die Einschränkungen gewöhnt. Sicherlich auch aufgrund der Lockerungen. Ihr Organisationstalent hätte sie gerettet, schreibt sie. Jetzt kauft zum Beispiel jede Woche jemand für sie und ihren Mann ein. Vor allem die Kontakte zu anderen Betroffenen habe sie stabilisiert. Die Beziehungen zu den sogenannten Gesunden wurden schwierig, seien teilweise sogar abgebrochen. Wichtig war für sie, dass ihr ihre Psychologin weiterhin Termine angeboten hatte. Ihr ebenfalls psychiatrieerfahrener Mann, der in einer Werkstatt  für behinderte Menschen arbeitet, musste 3 Monate zu Hause bleiben, was die heimische Situation erschwerte. Seitdem er wieder in die Werkstatt geht, hat sich das gemeinsame Wohnen wieder entspannt. Die beiden sind froh, dass sie es diesmal ohne die psychiatrische Klinik geschafft haben. 
  6. Laut der Aussage einer Mitarbeiterin einer Beschwerdestelle, gab es durch Corona vermehrt Suizide unter den psychisch belasteten Menschen. Leider gibt es dazu keine Statistiken.
  7. Eine andere Psychiatrieerfahrene berichtet, dass Corona einiges bei ihr verändert habe. Seit Corona seien ihre abendlichen Essanfälle, die sie schon seit 20 Jahren hatte, seit Wochen verschwunden, weil sie zu einer angemessenen Ernährung gefunden hat. Zudem hat sie sich endlich eine neue Therapeutin gesucht und will ihr altes Hobby Reiten wieder aufleben lassen. Diese Geschichte ist exemplarisch für neu erlerntes Verhalten aufgrund Corona. 
  8. Ein 58jähriger Mann mit fast 40 Jahre Psychiatrieerfahrung schreibt, dass sein Coronaerleben bisher aus 4 Phasen bestand: (1.) Jetzt erst recht sich engagieren. (2.) Mit wenig tun lebt es sich auch ganz gut. (3.) Corona macht depressiv. (4.) Jetzt ist Zeit, das eigene Leben zu ändern. Seine paradoxe Erfahrung ist seitdem: Von der Selbstoptimierung zur Selbstannahme setzt Energie frei zur Veränderung. Tatsächlich habe er jetzt zum ersten Mal mit ernsthaftem Willen damit begonnen, gesünder zu essen, seine Haltung zu sich selbst und zu Gott zu ändern, Neues zu wagen und sich mehr zu bewegen.
  9. Eine psychiatrieerfahrene Frau schreibt, dass ihr die sozialen Kontakte sehr gefehlt hätten. Sie durfte ihre Mutter im Pflegeheim sehr lange nicht sehen. Ein Trost sei es für die Tochter gewesen, dass sie ihrer Mutter einkaufen durfte. Den Einkauf musste sie vor dem Heim dem Personal aushändigen. Sie habe große Achtung vor dem Personal im Pflegeheim, die unter Corona viel mehr zu tun hätten. Die Bewohner hätten mit der Isolation große Probleme gehabt. Später durfte sie ihre Mutter nur in einer Kapelle oder einem Zelt für eine halbe Stunde besuchen. Das Personal schrieb die Besuchzeiten vor. Die Tochter hat aber Verständnis für das Vorgehen des Personals, denn nicht nur sie, hätte jeden zweiten Tag angerufen und nicht nur ihr habe man das Fieber messen müssen. 
Fazit: Es gibt keine einheitliche Aussage zur Wirkung von Corona auf die Psychiatrieerfahrenen und auch  nicht bezüglich des psychiatrischen Unterstützungssystems, wie es nicht den typischen Psychiatrieerfahrenen gibt. Psychiatrieerfahrene Menschen sind so verschieden, wie alle anderen Menschen und haben dieselben Bedürfnisse. Das unterstützt vielleicht die anthropologische These, dass psychische Erkrankungen nichts anderes sind, als intensive Ausprägungen von ganz natürlichen Emotionen und Veranlagungen, die in allen Menschen angelegt sind und die grundsätzlich nachvollziehbar sind, wenn man sich ausführlicher damit beschäftigt. Es könnte demnach ein Mythos sein, dass psychotische Wahninhalte nicht verstehbar und nicht einfühlbar sind, vor allem, wenn man sich deren Symbolcharakter vergegenwärtigt. Leider spricht allerdings die Alltagspraxis dagegen, da es zum Beispiel selten zu gelingenden Beziehungen zwischen psychiatrieerfahrenen und nicht psychiatrieerfahrenen Menschen kommt. Viele Fachkräfte sagen auch, dass sie dringend auf die Beschreibungen von Psychiatrieerfahrenen angewiesen sind, um wenigstens einigermaßen nachvollziehen können, wie jemand mit einer psychischen Einschränkung erlebt. Aber das führt über das eigentliche Thema dieses Textes hinaus. 


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An dieser Stelle möchte ich auf den 16. Rundbrief des Bundesweiten Netzwerks Sozialpsychiatrischer Dienste verweisen, der sehr lesenswert die Coronaerfahrungen aus professioneller Sicht beschreibt: Link zum 16. Rundbrief

Samstag, 4. Juli 2020

Gruppenwachstum im Garten

Auf einer Terrasse, die zur Ruhe einlädt
Im Stuhlkreis 
Mit Blick auf einen bunten Blumengarten
Mit verteilten Schätzen
Hören wir einander zu

Ohne Programm
Ohne Plan
Ohne Vorgaben

Alle erzählen von sich, ihre Geschichte
Mut, Verzweiflung, Zuversicht, Leidenswege
Recovery live 

Alle haben etwas zu sagen - und tun es
Fakten sind flüchtig
Aber wir tragen jetzt von jedem ein Bild in uns
Eine Aura

Der Tag endet mit einem Genuss für Leib und Magen
Mit den Kaisers Tassen 
Und mit einer großen Dankbarkeit 
Füreinander 
Und vor allem für Karl Heinz und Elli 

Schwäbisch Gmünd am 4.7.2020

Freitag, 3. Juli 2020

Mein Verständnis von Zen

Zen ist eine besondere Form des Buddhismusses. Mein Zen-Freund sagt, es hat eigentlich mit Buddhismus gar nicht so viel zu tun. Die Aussagen des Zen sind ganz einfach, aber schwer zu verstehen. Man muss sie verinnerlichen.

Wenn man meinen Zen-Freund nach Zen fragt, dann sagt er zum Beispiel: "die Blätter des Baumes sind grün und die Vögel singen". Das ist Zen.

Zen sagt, alles ist, wie es ist. Alles gehört dazu. Das Böse und das Gute. Beides hat seine Berechtigung. Zen will die Menschen wieder zu ihren Ursprüngen bringen, ohne die Technik und den Fortschritt zu negieren. Die Sorge um die Welt, um die Erde ist dabei zentral.

Zen ist alles was du mit deinen Sinnen wahrnimmst.

Das ist eigentlich alles, aber es steckt tiefe Weisheit dahinter und macht den Menschen glücklich und ruhig. Zen ist nur bis zu einem gewissen Grad mit dem Verstand zu erforschen. Ohne Meditation kann der höchste Grad nicht erreicht werden.

Zen ist die absolute Gegenwart. Das ist Zen wohl auf den Punkt gebracht. 

Es kann sein, das Zen die oder eine Wahrheit ist, wenn du es ernst nimmst. Mein Zen-Freund sagt, für ihn gibt es nur eine Wahrheit und die befindet sich überall: in den Menschen, wie in den Dingen. 

Es ist ein weiter Weg zum Zen zu kommen, meine ich.

Mein Zen-Freund kann vor allem aus körperlichen Gründen nicht richtig meditieren, aber er ist meiner Meinung nach an den verstandesmäßigen Grenzen des Zen - oder sogar schon darüber hinaus. 

Mittwoch, 1. Juli 2020

Bettler Geld geben?

Ein Mann, den ich kenne, gibt gerne Bettler ab und zu Geld. Meist 1-2 Euro, gelegentlich können es auch mal 5 Euro sein. Er macht das um etwas Gutes zu tun und um Menschen, die in Schwierigkeiten sind zu helfen - auch um das Gefühl zu haben, dass er Nächstenliebe praktiziert und nicht geizig ist. Ich muss dazu sagen, dass der Mann selbst nicht so viel Geld hat, aber mit seinem Einkommen klar kommt. 

Ich gebe in der Regel Bettler kein Geld. Ich bin nun in Zweifel gekommen, welches Verhalten das Richtige ist. Ich finde nämlich auch, dass es richtig ist, seinen Nächsten in prekären Situationen zu unterstützen. Ist es richtig einen Bettler zu unterstützen, der das Geld sofort in Drogen oder Alkohol umsetzt? Ist es richtig jemandem Geld zu geben, der Grundsicherung oder ALG 2 bezieht? Ich habe von einer Sozialarbeiterin gehört, die sagte "in Deutschland muss niemand betteln gehen" - ist allerdings schon ein paar Jahre her.

Man sieht den Menschen ja meist an, dass es ihnen schlecht geht und auch Menschen, die gepflegt aussehen können in Not sein.

Wenn sich jemand dazu ünerwindet zu betteln, sollte man ihm dann nicht Geld schenken, ohne es an Bedingungen zu knüpfen? Und ich kann nie wissen, was dieser Mensch mit dem Geld dann macht und wie er in Not gekommen ist. 

Ich kann mir sagen, es sind ja nur kleine Beträge, um die es da geht und ich kann 1-2 Euro auch verschmerzen. Allerdings, wenn jeder so denken würde, könnte man als Bettler besser verdienen, als Menschen, die zu einem geringen Lohn arbeiten. Ich weiß, es denken aber nicht alle so. Warum eigentlich nicht? 

Viele spenden an Hilfsorganisationen und hoffen, dass das Geld dort sinnvoll ausgegeben wird. Wenn sie die Organisation aber nicht sehr gut kennen, können sie sich da auch nicht sicher sein. Und selbst dann gab es schon manchen Mitarbeiter, der sich bereichert hat.

Vielleicht sollte ich nicht so viel nachdenken und auf mein Bauchgefühl achten, wenn mich jemand um Geld fragt. Trotzdem hätte ich dazu gerne eine klare Meinung. 

Gerade denke ich, ich gebe in Zukunft wohl eher einem Bettler was, aber vermutlich nicht immer. Ich weiß, nicht sehr konsequent. 

Was meint ihr dazu? 


Beendigung des Blogs "Rainers Welt"

Liebe Freunde und Leser, vielen Dank, dass ihr mir über die Jahre hinweg die Treue gehalten habt oder erst seit kurzem hier mitlest oder heu...