Als erstes denke ich da an meine grundsätzliche Einstellung zur Psychiatrie. Vor vielen Jahren habe ich Schlimmes in der Psychiatrie erlebt: Fixierungen., Zwangsspritze, zuletzt 2009 Isolierung. Das hat aber alles nicht dazu geführt, dass ich ein Psychiatriegegner geworden bin. Lange Zeit habe ich an mir gezweifelt, dass ich deswegen nicht richtig sei, zu angepasst, zu unterwürfig. Jetzt sage ich, ich bin wie ich bin und ich bin eben eher psychiatriefreundlich. Die vielen Menschen, die sich um mich gekümmert haben, manche mit viel Herzblut. Die vielen netten Profis, die mir bei meiner langjährigen Selbsthilfearbeit begegnet sind. Sicher waren dabei nicht alle auf Augenhöhe, auch eingebildet, arrogant, sehr von sich eingenommen und überzeugt - aber meist finde ich auch bei denen etwas Nettes oder ich kann sie einfach lassen, wie sie sind. Bin ich deswegen ein schlechter Interessenvertreter? Vielleicht fehlt mir da schon das Gefühl für Gerechtigkeit und Menschenrechte. Ich komme mehr vom System her und vielleicht weniger vom Menschen. Ich sehe, dass Psychiatrie nicht optimal läuft. Ich habe Ideen, wie es besser sein könnte, aber ich handle nicht aus Empörung und Entrüstung, sondern aus dem Wunsch heraus, es besser zu machen, um Psychiatrie weiter zu entwickeln.
Neben allen Modellen, Konzepten
und Methoden ist für mich das Wichtigste, mit welcher Haltung die Profis den
Patienten und den Klienten begegnen:
1.
Machen sie Mut oder
demoralisieren sie?
2.
Nehmen
sie ernst oder vermuten sie überall Betrug und Lügen?
3.
Glauben sie an die Genesung
oder sprechen sie von austherapiert und chronisch?
4.
Spenden sie Trost und
Hoffnung, wenn das Gegenüber keinen Sinn und keinen Ausweg mehr sieht oder
schweigen sie dann hilflos?
5.
Haben sie selbst einen Sinn
für sich gefunden, um auch anderen bei der Sinnsuche behilflich zu sein
oder machen sie ihre Arbeit nach Vorschrift und Regeln ohne zu wissen weshalb?
6.
Können sie professionelle
Nähe zulassen oder verstecken sie sich vielleicht sogar gleichgültig hinter
der viel beschworenen professionellen Distanz?
7.
Glauben Sie an die Fähigkeiten
des zu Unterstützenden, können sie diese erkennen und fördern oder sehen
sie nur, was nicht geht, was defizitär scheint?
8.
Nehmen sie die Wünsche und
Ziele ernst und fördern das Erreichen oder raten sie davon ab und reden von
Fantasie und bemühen die in diesem Zusammenhang lähmende Vernunft?
9.
Verstehen sie sich als Berater
und Assistent oder meinen sie genau zu wissen was richtig, falsch und
besser ist?
10.
Ist es ihnen die Befindlichkeit
wicht oder denken sie nur an die Symptome unter denen gelitten wird?
11.
Sind sie bereit Risiken
einzugehen und an den Anderen zu glauben und bei Misserfolg es wieder zu wagen
oder packen sie so in Watte, dass keine Entwicklung mehr möglich ist?
12.
Sehen sie bei schwierigen Menschen das Liebenswerte, das
jeder Mensch in sich trägt, deren Schrei
nach Liebe und Anerkennung oder verurteilen sie das herausfordernde
Verhalten, lehnen ab, grenzen aus, ja hassen sogar - selbst als bezahlte
Helfer?
Das fällt mir zum Thema Haltung
ein. Diese Wünsche an die Profis versammeln sich beim Recoveryansatz. Nicht
dass das alles neu wäre, aber leider noch lange nicht überall umgesetzt. Mir
ist klar, dass die Profis keine Übermenschen sind und genauso wenig perfekt
sind, wie die von psychischer Erschütterung Betroffenen. Aber mit Recovery
bekommen sie eine Leitlinie vermittelt und zwar nicht von ihren Chefs oder
irgendwelchen Professoren, sondern direkt von den Betroffenen, denn der
Recoveryansatz wurde von Psychiatrieerfahrenen aus den USA und Neuseeland
entwickelt.
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