Sonntag, 7. Juni 2020

Grußwort Jubiläum Hilfsverein

Sehr geehrte Herr Prof. Längle, sehr geehrte Damen und Herren, 

herzlichen Dank für die Ehre, an diesem besonderen Tag hier als Vertreter des Landesverbandes Psychiatrie-Erfahrener Baden-Württemberg für die Psychiatrieerfahrenen sprechen zu dürfen. 

In den 20 Jahren, in denen ich mich schon in der Selbsthilfe engagiere, bin ich schon oft dem Hilfsverein für seelische Gesundheit Baden-Württemberg begegnet. Eigentlich nur in seiner Funktion als Verteiler der Selbsthilfegelder des Landes. Der Hilfsverein hat keine eigene Website. Insofern bin ich gespannt, was ich vom Hilfsverein heute darüber hinaus erfahre. 

Vorausschicken möchte ich einen Gruß unseres Ehrenvorstandes Karl Heinz Eßer, der 1993 zusammen mit Ursula Zingler die Landesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener Baden-Württemberg gegründet hat. Er erinnert, dass damals der Hilfsverein ein sehr wichtiger Lotse für uns war, um die Probleme zu lösen, die die Gründung einer Landesorganisation mit sich bringen. 

Es würde den Rahmen sprengen, alle Förderungen durch den Hilfsverein zu benennen, deren ich Zeuge geworden bin. Vier davon möchte ich trotzdem herausgreifen:
 
Erstens sind die Gelder für unseren Landesverband die Basis dafür, dass wir unsere Arbeit überhaupt sinnvoll tun können. 

Zweitens schätze ich es sehr, dass die Förderkriterien des Hilfsvereins für die Selbsthilfegruppen nicht so eng sind, wie bei den Krankenkassen. Sonst wären manche Unternehmungen in der Selbsthilfe nicht möglich, die für den Zusammenhalt, die Gemeinschaft und nicht zuletzt für das Wohlbefinden der einzelnen Gruppenmitglieder in den Selbsthilfegruppen von so großer Bedeutung sind. 

Drittens habe ich besonders die Anschubfinanzierung für EX-IN im Jahre 2008 in Erinnerung. Irgendwann wäre EX-IN sicherlich so oder so nach Baden-Württemberg gekommen. Aber somit waren wir 2010 in Deutschland ganz früh mit unserem ersten EX-IN Kurs am Start, so dass in Stuttgart bei der Offenen Herberge derzeit schon der 6. Kurs beginnt. 

Und viertens ganz aktuell unterstützt uns der Hilfsverein bei der Aquirierung der Eigenmittel für unseren Antrag bei Aktion Mensch für unser gemeinsames IPAGs-Projekt zusammen mit dem Landesverband der Angehörigen. IPAGs ist die Abkürzung für "Interessenvertretung Psychiatrieerfahrener und Angehöriger im Gemeindepsychiatrischen Verbund stärken". 

Herzlichen Dank dafür. 

Sicherlich sind die Finanzen grundlegend für die Aktivitäten der Menschen. Aber zuerst braucht es eben die Menschen, die sich auf den Weg machen, Ideen entwickeln, sich engagieren und sich zum Beispiel entschließen, sich in Selbsthilfegruppen zu treffen. Hier hat der Hilfsverein großen Einfluss darauf, was Wirklichkeit wird und was Plan bleibt. 

Als EX-IN-Begeisteter setze ich mich dafür ein, dass die Arbeit von Psychiatrieerfahrenen entlohnt wird und wir nicht nur die Empfänger von Lobes- und Dankesworten sind. Und diese Haltung setzt sich erfreulicher Weise auch immer mehr durch. Aber ich sehe das auch mit einem weinenden Auge. Ich habe den Eindruck, dass es immer schwieriger wird, Psychiatrieerfahrene für eine ehrenamtliche Arbeit in den Selbstvertretungen zu finden, aber auch als Verantwortliche für die Selbsthilfegruppen. Das hat sicherlich mehrere Gründe, aber einer davon könnte sein, das Idealismus immer mehr dem Materialismus weicht. Gerne lasse ich mich aber eines Besseren belehren. 

Nun kommt der Teil des Grußwortes in dem ich mich zur Psychiatrie äußern möchte. In Anbetracht der wenigen Zeit fällt dieser recht kurz aus:

Wenn ich die letzten 40 Jahre zurückblicke - solange habe ich eigene Psychiatrierfahrung -, habe ich den Eindruck dass wir auf einem guten Weg sind. Gemeindenahe und bedürfnisorientierte Haltungen und Konzepte setzen sich immer mehr durch. Recovery- und Empowermentförderung werden breit von den Psychiatrieerfahrenen gefordert. Aber darauf dürfen wir uns nicht ausruhen. Die Psychiatrie ist immer noch sehr verbesserungswürdig. 

Mit Sorge sehe ich die Ökonomisierung der Psychiatrie. Die Finanzen und der Psychiatrieerfahrene als Kunde werden - oder soll ich sogar sagen sind - die Leitlinien an denen sich alles ausrichtet. Deswegen immer wieder der Appell, dass gerade die Sozialwirtschaft für den Menschen und nicht der Mensch für die Sozialwirtschaft da ist. Zum Beispiel dürfen Einrichtungen, die sich für die Gesundheit der Menschen einsetzen, nicht auf Gewinn ausgerichtet sein. 

Immer noch gibt es Kliniken in denen zuviel Psychopharmaka gegeben werden, immer noch gibt es zuviel Zwang und Gewalt auf den Stationen, ja teilweise haben sie sogar drastisch zugenommen, immer noch sind zu viele Psychiatrieerfahrene krankheitsbedingt verarmt, arbeitslos, berentet und in Grundsicherung, immer noch werden Psychiatrieerfahrene nicht in ausreichendem Maße beteiligt, immer noch ist die Versorgungsqualität in den verschiedenen Kreisen in Baden-Württemberg zu unterschiedlich, immer noch bekommen die am schwersten Beeinträchtigten zuwenig Hilfe, immer noch gehören Psychiatrieerfahrene zu den am meisten stigmatisierten Gruppen in unserer Gesellschaft, immer noch gibt es Fachkräfte, die nicht wirklich an die Genesungschancen ihrer Klient*innen und Patient*innen glauben oder meinten sie wüßten immer, was richtig oder falsch ist. 

Ich bin dem Hilfsverein dankbar, dass er die Aufgabe übernommen hat, Menschen finanziell zu fördern, die meistens selbst nicht viel Geld haben und er somit die Schwachen in unserer Gesellschaft fördert. 

Wenn ich mir die Welt anschaue, sehe ich, dass die Ärmeren den großen Kampf um das Geld verloren haben. Im Kleinen gibt es immer wieder Hoffnung. 

Danke schön fürs Zuhören. Ich wünsche Ihnen einen erlebnisreichen Tag mit schönen Begegnungen. 

Rainer Höflacher 





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