Dienstag, 2. Juni 2020

Brief an Psychiatrieerfahrene: Psychiatrie besser machen!

Brief an psychiatrieerfahrene Menschen: Psychiatrie besser machen!

Wo seid ihr?

Nach den Zahlen der Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) sind von den 11 Mio. Einwohnern Baden-Württembergs ca. 3 Mio. Erwachsene jedes Jahr von einer psychischen Erkrankung betroffen. Etwa 580.000 nehmen davon Kontakt zu einem Leistungsanbieter auf.

Der Landesverband Psychiatrieerfahrener hat derzeit 450 psychiatrieerfahrene Mitglieder.

Mir fallen im Moment 9 psychiatrieerfahrene Menschen ein, die sich aktiv im Landesverband Psychiatrie-Erfahrener Baden-Württemberg (LVPEBW) engagieren - inklusive des Vorstandes. 

Woran liegt das?

Liegt das an uns, dem Vorstand? Ich habe schon 3x versucht eine Gruppe zu etablieren, deren Mitglieder unter der Federführung des Vorstandes Aufgaben im LVPEBW übernehmen und Initiative ergreifen. Jedes Mal bin ich gescheitert. Vermutlich habe ich das nicht gut genug gemacht. Vorwiegend habe ich mich dabei auf Mails konzentriert und zu wenig mit den einzelnen Gruppenmitgliedern telefoniert. Aber seit ich nicht mehr alleine wohne, kann ich nicht mehr so viel telefonieren wie früher. Also mein Fehler?

Was tun wir?

Der Landesverband macht vorwiegend Lobbyarbeit. Wir verfassen Stellungnahmen, nehmen an Gremien teil, bereiten Veranstaltungen mit vor, treten öffentlich auf und führen jedes Jahr mindestens 3 eigene Veranstaltungen durch, zu denen immer alle Mitglieder eingeladen sind. Die Kosten für die Mitglieder werden dabei zur Hälfte oder teilweise auch ganz von uns übernommen.

Wir haben das Projekt IPAGs (=Interessenvertretung Psychiatrieerfahrener und Angehöriger im Gemeindepsychiatrischen Verbund stärken) zusammen mit dem Landesverband der Angehörigen ins Leben gerufen. Derzeit sind wir kurz davor einen entsprechenden Antrag bei Aktion Mensch zu stellen, der es uns ermöglichen soll für 3 Jahre für das Projekt eine 100%-Stelle einzurichten.

Was ist unser Ziel?

Ganz einfach?! Wir setzen uns für eine bessere Psychiatrie ein, damit sich die Behandlung, Begleitung und Beratung, aber auch die Lebensumstände von Psychiatrieerfahrenen verbessern.

Wie arbeiten wir?

Der aktuelle Vorstand ist sich über die Art und Weise der gemeinsamen Arbeit einig. Wir wollen innerhalb des Systems, so kooperativ wie möglich und so scharf wie nötig, Psychiatrie aus der Erfahrungsperspektive mitgestalten.

Dazu haben wir zu bestimmten Themen einen Grundkonsens. So wenig Psychopharmaka wie möglich, so viel wie nötig, Zwang und Gewalt verhindern, Recovery flächendeckend umsetzen und Recoverycolleges aufbauen, Partizipation Psychiatrieerfahrener weiterentwickeln, Missstände in Heimen abschaffen, einheitliche Versorgungsqualitäten in Baden-Württemberg herstellten, EX-IN fördern und vieles mehr…

Aber wo seid ihr?

Mir ist bewusst, dass Lobbyarbeit nicht für jede und jeden etwas ist. Man oder frau muss Spaß am Diskutieren haben, auch wenn öfters nichts dabei herauskommt, oft sind nur kleine Erfolge sichtbar – wenn überhaupt, die hilfreiche Wirkung auf die Psychiatrieerfahrenen ist in der Regel indirekt, das Gefühl Gutes zu tun ist meines Erachtens nicht ganz so präsent wie bei etlichen anderen Ehrenämtern und man oder frau sollte eine Vorstellung dazu entwickeln, welche Konzepte förderlich sind und welche weniger. Also gibt es etliche Hürden, die zu nehmen sind.

Trotz allem verstehe ich nicht, warum von den jährlich 580.000 Psychiatrieerfahrenen in Baden-Württemberg bei uns nur 9 ankommen.

Ich weiß, dass dieser Text keiner der sonst üblichen Motivations- und Werbeschreiben ist. Ich will euch auch kein schlechtes Gewissen machen. Aber vielleicht konnte ich euch zum Nachdenken bringen, ob Interessenvertretung im LVPEBW nicht doch eine sinnvolle Aufgabe für euch sein könnte, auch wenn ich nicht in blumigen Worten beschrieben habe, wie toll alles ist.

Ruf mich unter 07641-9621511 an oder schreib an hoeflacher@lvpebw.de, dann können wir uns darüber austauschen, ob es bei uns nicht doch einen Platz für dich geben könnte, auch wenn du nicht gleich dem Vorstand angehörst.

Ganz einfach:
Psychiatrie besser machen. Psychiatrieerfahrene damit unterstützen. Mit uns. Bei uns.

Euer Rainer

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