Sonntag, 23. Mai 2021

Der LVPEBW - gestern, heute, morgen

Der LVPEBW – gestern, heute, morgen
Rückblick und Ausblick aus persönlicher Sicht
Rainer Höflacher

Der Landesverband Psychiatrieerfahrener Baden-Württemberg e.V. wurde 1993 als Landesarbeitsgemeinschaft zunächst ohne Vereinsstatus in Heidelberg im Zuge der entstehenden Selbsthilfebewegung in der Psychiatrie gegründet. Er verstand und versteht sich bis heute als Interessenvertretung psychiatrieerfahrener Menschen in Baden-Württemberg. Mit Stand Juni 2021 hat der LVPEBW 456 Einzelmitglieder mit kostenfreier Mitgliedschaft und 11 Selbsthilfegruppen und -organisationen als beitragszahlende Mitglieder. Er verfolgt seinen Vereinszweck mit den Mitteln der Gremienarbeit, Öffentlichkeitsarbeit, Stellungnahmen, Beratung, Vernetzungsarbeit und der Durchführung von Projekten zur seelischen Gesundheit im weitesten Sinne. Pauschal und auch projektbezogen wird der LVPEBW über die Selbsthilfeförderung der Krankenkassen und des Landes Baden-Württemberg finanziert. Seit kurzem wird versucht auch andere Finanzquellen zu erschließen.

Die Zeit der Gründung

In der Zeit, als die ersten Selbsthilfegruppen Psychiatrieerfahrener entstanden, in denen sich dann oft auch die Menschen fanden, die sich für bessere psychiatrische Hilfen und Strukturen einsetzten, entwickelte sich auch der Partizipationsgedanke in der Psychiatrie. Von einer entsprechenden Partizipationskultur war man noch weit entfernt. In diesem Kontext entschlossen sich die Gründer des LVPEBW eine Interessenvertretung für psychiatrieerfahrene Menschen in Baden-Württemberg aufzubauen. Es gab damals kaum die Möglichkeit, dass auch Psychiatrieerfahrene am psychiatriepolitischen Diskurs teilnehmen konnten. Viele Fachleute trauten ihnen dies auch nicht zu. Anfang der 90er Jahre war die Zeit, als sich das änderte und die Psychiatrieerfahrenen begannen sich selbst zu organisieren. Themen wie "Gewaltfreie Psychiatrie", "Durchsetzung von Rechten" und "Umgang mit Psychopharmaka" verbanden sie damals. Der Ton der Psychiatrieerfahrenen gegenüber den Fachpersonen war rauer als heute, teilweise unversöhnlich und nicht selten beleidigend.

Themen, die den LVPEBW seither begleiten

Aus dem psychiatriepolitischen Engagement der Psychiatrieerfahrenen entwickelten sich nach und nach Themen, die den LVPEBW bis heute begleiten:

Beschwerdestellen: Schon Mitte der 90er Jahre wurden die ersten Beschwerdestellen in der Psychiatrie gegründet. Die Beschwerdestelle Stuttgart war eine der ersten, wenn nicht die Erste und war lange Zeit beispielgebend für andere Beschwerdestellen, als Ort, wo psychiatrieerfahrenen Menschen dabei geholfen wird, ihre Rechte durchzusetzen, weil sie es aufgrund ihrer Einschränkungen und der Stigmatisierung psychischer Erkrankungen besonders schwer damit haben. Dies passt genau in die Agenda des LVPEBW. Der LVPEBW hatte auch großen Anteil daran, dass mit dem Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (PsychKHG) in Baden-Württemberg die unabhängigen, trialogisch besetzten Informations-, Beratungs- und Beschwerdestellen (IBB-Stellen) flächendeckend und vom Land finanziert aufgebaut wurden. Das war aus Sicht der Psychiatrieerfahrenen ein großer Erfolg, auch wenn die IBB-Stellen nicht überall die Erwartungen an sie erfüllen.

Krisendienste: Zusammen mit vielen Fachleuten und den Angehörigen fordert der LVPEBW schon seit vielen Jahren, dass in Baden-Württemberg Krisendienste bzw. in ländlichen Gebieten Netzwerke der Krisenhilfe aufgebaut werden. Es ist auch heute noch eine große Schwachstelle der psychiatrischen Hilfen, dass Menschen vor allem außerhalb der allgemeinen Dienstzeiten in Krisensituationen alleine gelassen werden und vielen nichts anderes übrigbleibt, als stationär in die psychiatrische Klinik zu gehen, ganz abgesehen davon, dass das Erleben von psychischen Krisen mit großem persönlichen Leiden verbunden ist. Es scheint in Baden-Württemberg unmöglich eine angemessene Finanzierung zur Beseitigung dieses Missstandes zu entwickeln. Andere Bundesländer wie Bayern machen es uns vor, wie Krisenbegleitung sinnvoll funktionieren kann.

Aufsuchende Hilfen: Ebenfalls eine sehr alte Forderung ist, dass vermehrt die Möglichkeit geschaffen wird, dass auch über akute Krisen hinaus Unterstützung gerade auch aufsuchend im häuslichen Umfeld stattfindet. Vor einigen Jahren initiierten der LVPEBW, der Landesverband der Angehörigen und der Fachverband Psychiatrie des Diakonischen Werks Württemberg mit Hilfe des ZfP Südwürttemberg eine große Veranstaltung zum Thema Home Treatment, was letztendlich zur Gründung der Arbeitsgruppe Modellprojekte nach § 64b im Sozialministerium und daraus folgend zu zwei Projekten mit Home Treatment führte. Home Treatment trat allerdings wieder in den Hintergrund, als auf der Bundesebene die stationsäquivalente, psychiatrische Akutbehandlung (StäB) eingeführt wurde. Darauf entschloss sich der LVPEBW StäB zu unterstützen, die zwar aus der Idee und den Erfahrungen des Home Treatments entstanden ist, sich aber konzeptionell vom Home Treatment unterscheidet – und das teilweise nachteilig. Aber auch die aufsuchenden Hilfen der Sozialpsychiatrischen Dienste (SpDi) sind für den LVPEBW von großer Wichtigkeit. Wir sehen hier die Gefahr, dass durch die Betonung vor allem der Vermittlungsfunktion des SpDi, wie es das Sozialministerium anstrebt, die bewährte – allerdings noch nicht überall umgesetzte - aufsuchende Arbeit des SpDi und die Möglichkeit von flexiblen, auch langfristigen Begleitungen geschwächt wird.

Heime: Seit langem ist es ein in der Psychiatrie präsentes Thema, dass in Pflegeheimen auch viele jüngere psychisch erkrankte Menschen seien, die eigentlich im Rahmen der Eingliederungshilfe gefördert werden sollten (diese Heime heißen im SGB IX nun „besondere Wohnformen“). Ein zweiter Missstand ist es, dass Menschen, für die kein passendes Angebot in der Gemeinde gefunden werden kann, teilweise weit entfernt von ihrem bisherigen Wohnort (nicht selten in andere Bundesländer) in ein Heim ziehen müssen, wodurch natürlich die bisherigen sozialen Kontakte verloren gehen. Der KVJS erhebt seit Jahren in seiner Dokumentation der Gemeindepsychiatrischen Verbünde dazu Daten. Seit 2020 hat sich das Sozialministerium speziell dieses Themas verstärkt angenommen. Es werden die aus Erfahrung gewonnenen Erkenntnisse anhand von 4 Modellregionen mit Umfragedaten untersucht und Daten aus den psychiatrischen Kliniken analysiert. Dies betrifft vor allem Psychiatrieerfahrene mit komplexen Erkrankungsbildern.

Themen aus jüngerer Zeit

EX-IN: Parallel zu den Auseinandersetzungen mit den psychiatrischen Versorgungsstrukturen begann auch schon in den 80er Jahren die Auseinandersetzung mit dem Verständnis von Krankheit und Genesung. Es entstanden Psychose-Seminare, es entwickelte sich der Recovery-Ansatz und dann in jüngerer Zeit auch das Konzept einer „Berufs-Qualifizierung“ für die Genesungsbegleitung, nämlich EX-IN (Experienced-Involvement=Beteiligung von Erfahrenen). Nachdem EX-IN Stuttgart, als erste EX-IN Initiative in Baden-Württemberg, vom LVPEBW 2009 in die Trägerschaft der Offenen Herberge Stuttgart wechselte, war EX-IN für den LVPEBW zeitweise ein untergeordnetes Thema. Obwohl EX-IN erst 2005 in Bremen und Hamburg gestartet ist, hat es in der Psychiatrielandschaft eine große Dynamik entwickelt. In Deutschland gibt es aktuell etwas 35 Städte in denen EX-IN-Kurse angeboten werden. Immer mehr Einrichtungen beschäftigen EX-IN-ausgebildete, bezahlte Genesungsbegleiter. Grundsätzlich ist das sehr zu begrüßen – eine Nebenwirkung ist allerdings auch, dass immer weniger Psychiatrieerfahrene bereit sind, sich in der Interessenvertretung ehrenamtlich zu engagieren, da es dort nur in Ausnahmefällen eine finanzielle Entlohnung gibt. Insgesamt verbreitet sich unter Psychiatrieerfahrenen immer mehr eine materielle Orientierung, die zwar verständlich ist, aber das ehrenamtliche Engagement schwächt. Wenn es in Zukunft weiter fast unmöglich ist, als Interessenvertreter eine Anstellung oder zumindest eine Aufwandsentschädigung zu bekommen, wird eine signifikante Weiterentwicklung auf diesem Gebiet kaum möglich sein. Was EX-IN anbelangt hat der LVPEBW versäumt bei einem sehr wichtigen Thema aktiv zu bleiben. Es stellt sich allerdings auch die Frage, was der LVPEBW bei seinen Voraussetzungen zur EX-IN-Bewegung beitragen hätte sollen? In Rheinland-Pfalz ist das Landesnetzwerk Selbsthilfe seelische Gesundheit Träger von EX-N-Kursen. Dies ist dem LVPEBW in Baden-Württemberg nicht gelungen.

Durch EX-IN ist in der Psychiatrie eine psychiatriepolitisch zunächst einmal unabhängige, eigene Bewegung entstanden. Es wird sich zeigen, wie sich diese in das psychiatriepolitische Umfeld einfügt und ob sie die Interessenvertretungen schwächt oder ob durch EX-IN sogar neue Interessenvertreter*innen gewonnen werden können. Hier hat auch der LVPEBW eine Möglichkeit auf die Entwicklung von EX-IN in Baden-Württemberg Einfluss zu nehmen, nämlich durch Vernetzung mit den verschiedenen EX-IN-Standorten in Baden-Württemberg, die es inzwischen neben Stuttgart auch in Heidelberg, Friedrichshafen und Freiburg gibt, und durch eine engere Zusammenarbeit mit dem Landesverband EX-IN BW, der 2016 gegründet wurde. Wie das im Detail aussehen kann, ist im Moment noch unklar.

Seit einigen Jahre hat sich der LVPEBW des Themas Recovery angenommen. Der LVPEBW hat erkannt, dass mit der Umsetzung des Recoverykonzeptes die Art und die Qualität von Behandlung und Begleitung grundlegend verändert werden kann. Deswegen versucht der LVPEBW den Recoveryansatz breit und umfänglich in Baden-Württemberg zu fördern und innerhalb seiner Möglichkeiten umzusetzen. Zwei Vorstände sind auch maßgeblich am Aufbau der Recoverycolleges in Stuttgart und Freiburg beteiligt. Dieses Engagement wird im LVPEBW fortgesetzt werden.

In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, dass nicht zuletzt durch EX-IN der Recovery-Ansatz in Deutschland eine weitere Profilierung erfährt dadurch, dass in immer mehr Regionen sogenannte Recoverycolleges aufgebaut werden, als Bildungseinrichtungen für seelische Gesundheit. Diese Entwicklung zeigt, dass in Deutschland eine bestimmte Vorstellung von Genesung und professioneller Unterstützung, die im Grunde nicht neu ist, einen Namen bekommen hat.

Bundesteilhabegesetz (BTHG): Seitdem es am 30.12.2016 in Kraft getreten ist, ist das BTHG, das am 1. Januar 2023 seine Wirkung verliert und dann vollständig ins SGB IX übergeht, das beherrschende Thema in der Behindertenhilfe. Obwohl beim LVPEBW derzeit ein Mitglied auf höchster Ebene im Sozialministerium in den Entwicklungsprozess eingebunden ist, ist es dem LVPEBW nicht gelungen, dieses Thema angemessen in seiner Agenda zu würdigen. Man wird sehen, ob es gelingt die AG BTHG im LVPEBW wiederzubeleben, was aktuell versucht wird. Dass in der Leitung zum Großteil kein großes Detailwissen zum BTHG vorliegt, ist ein Schwachpunkt. Allerdings ist es durch die Komplexität der Thematik und aufgrund der ständigen Veränderungen im Prozess sehr schwer hier aktiv zu sein. Es braucht sehr viel Zeit, hier auf dem Laufenden zu bleiben, das Durchhaltevermögen zu haben viele Seiten Gesetzestexte und komplizierte Fachsprache zu lesen und dabei trotzdem all die anderen Aufgaben im LVPEBW zu bewältigen. Die Gefahr ist groß, dass so die notwendige Kraft und Motivation für die Beschäftigung mit dem BTHG verloren gehen, andererseits handelt es sich um ganz zentrale Themen in der Weiterentwicklung des Hilfesystems. Gerade auch zu diesem Themenbereich erscheint es wichtig über neue, den Vorstand unterstützende Arbeitsformen und Maßnahmen nachzudenken.

Drei den LVPEBW prägende Menschen

Drei Personen sind besonders zu erwähnen, wenn es darum geht in die Vergangenheit des LVPEBW zu blicken: Ursula Zingler, genannt Uschi, die von Beginn an bis zu ihrem überraschenden Tod im Jahr 2010 den Verein als Vorsitzende geleitet hatte. Klaus Laupichler der das Amt des Vorsitzenden von Uschi Zingler nach deren Tod übernahm. Und Karl Heinz Eßer, der von 1993 bis 2012 die Kasse des LVPEBW führte und heute noch als Ehrenvorstand mitarbeitet.

Ursula Zingler hat begleitend zu ihrer Arbeit als Korrektorin und Betriebsrätin beim Thieme Verlag für den LVPEBW Großes geleistet. Schon im Jahr 1991 hat sie die Initiative Psychiatrie-Erfahrener Stuttgart gegründet, wo sie 2001 ihr Sprecheramt abgab. 10 Jahre war sie in Stuttgart als Interessenvertreterin Psychiatrieerfahrener eine feste Größe und dort aktiv in den Gremien gewesen. Sie hat 1996 die Beschwerdestelle Psychiatrie Stuttgart mitgegründet, in der sie bis zu ihrem Umzug von Esslingen nach Laufen am Neckar mitgearbeitet hat. Sie war lange Zeit auch im geschäftsführenden Vorstand des Bundesverbandes Psychiatrie-Erfahrener (BPE) engagiert und war bundesweit bekannt als kompetente und unermüdliche Streiterin für die Rechte psychiatrieerfahrener Menschen. Sie war eine starke Frau und scheute es auch nicht Konflikte auszutragen. Vor allem aufgrund inhaltlicher Differenzen mit dem BPE zog sie sich Ende der 2000er Jahre von der Bundesebene zurück und widmete sich seitdem ausschließlich dem LVPEW, der im Jahr 2006 den Vereinsstatus angenommen hatte, vor allem um weiterhin seine Finanzierung zu sichern.  Ursula Zingler hat die Anliegen von Psychiatrieerfahrenen zu einem Lebensthema gemacht. Sie bezeichnete sich als Depressionserfahrene, die aus eigener Arbeit an sich selbst dauerhafte Genesung erlangt hat. Ursula Zingler wurde mit dem Bundesverdienstkreuz für ihr ehrenamtliches Engagement geehrt.

Der zweite Mitgründer des LVPEBW, Karl Heinz Eßer, bildete mit Ursula Zingler bis zu deren Tod ein sehr wirksames Team mit großer persönlicher Verbundenheit. Karl Heinz Eßer arbeitet eher im Hintergrund, als kluger und erfahrener Berater und sicherte dem LVPEBW die Finanzen, ohne die dieser nicht in diesem Maße arbeitsfähig gewesen wäre.

Die dritte Person, die den LVPEBW geprägt hat, war Klaus Laupichler. Er war in seinem Leben in fast aussichtloser Lage gewesen. Alkoholsüchtig, obdachlos, später dann hochdosiert mit Psychopharmaka im psychiatrischen Wohnheim. Er hat es geschafft mit großer Anstrengung und viel Disziplin wieder auf einen guten Weg zu kommen und war jahrelang im Bundesverband Psychiatrieerfahrener (BPE) engagiert und dort auch Mitglied des geschäftsführenden Vorstandes gewesen. Er war in vielen Gremien in ganz Deutschalnd tätig. Mit seiner sehr eindrucksvollen Persönlichkeit mit einer Mischung aus Dickköpfigkeit und enormer Empathie für seine Mitmenschen, erreichte Klaus Laupichler bundesweite Bedeutung und war sehr gut vernetzt. Mit seiner Art alle Perspektiven zu sehen und seinen guten und oft tiefen Beziehungen - auch zu Psychiatrie-Fachkräften - hinterließ Klaus Laupichler nach seinem überraschenden Tod am 16. April 2015 eine große Lücke in der Selbsthilfebewegung Psychiatrieerfahrener. Wenn man Klaus Laupichler traf, vergaß man diese Begegnung nicht und selbst wenn er nur wenige Worte sagte, so blieben einem diese in bleibender Erinnerung. Man merkte einfach: er wusste wovon er sprach. Bei seinen Auseinandersetzungen mit den Fundamentalisten im BPE musste er viele Anfeindungen und Kränkungen aushalten. Aber er ging unbeirrt seinen Weg und als er 2010 im LVPEBW das Amt des Vorsitzenden übernahm begann eine neue Ära im LVPEBW, die die Bedeutung des LVPEBW im Baden-Württemberg nochmals deutlich steigerte.

Es gab viele weitere aktive Menschen, die mit den Jahren kamen und auch wieder gingen. Alle haben sie sich für den LVPEBW eingesetzt. Es sei ihnen gedankt. Genannt werden sollen hier stellvertretend die bisherigen Vorsitzenden. Bis heute bekleideten seit Gründung folgende Personen das Amt des/der Vorsitzenden: Ursula Zingler, Klaus Laupichler, René Müller, Bernhard Dollerschell

Vereinskrise von 2013 bis 2015

Schon in der Ära Zingler gab es immer wieder Streit innerhalb des Vorstandes oder auch mit einigen Mitgliedern. Die Differenzen entstanden durch persönliche Unverträglichkeiten und weil die betreffenden Personen die professionelle Psychiatrie als Gegner, ja teilweise sogar als Feind sahen. Obwohl der LVPEBW damals durchaus auch aggressiv seine Positionen vertrat, gingen Ursula Zingler diese extrem antipsychiatrischen Überzeugungen zu weit. Sie zeigte hier viel Durchhaltevermögen und überstand alle Konflikte. Kurz nach ihrem Tod spitzte sich ein Streit im Vorstand zu einer handfesten Vereinskrise zu. Es entstanden zwei Lager, die sich unschön bekämpften. Beide Seiten machten in der Art und Weise, wie der Konflikt geführt wurde Fehler. Es wurden Kooperationspartner in den Streit mit hineingezogen bis hin zum Sozialministerium. Erst als sich zwei wichtige Gegenspieler des Streites zurückzogen, beruhigte sich die Situation. Als Ergebnis des langjährigen Entwicklungsprozesses im LVPEBW kann festgestellt werden, dass sich die eher konfliktbereiten und lauten Mitglieder sich nach und nach aus dem LVPEBW zurückzogen.

Der LVPEBW und die Bundesebene

Diese Entwicklung im LVPEBW führte auch letztendlich zum endgültigen Zerwürfnis mit dem BPE. Immer schon bestand ein Konflikt zwischen der fundamentalistischen Sicht des BPE und der eher gemäßigten Position des LVPEBW. Dieser Konflikt eskalierte, als in Baden-Württemberg damit begonnen wurde ein Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (PsychKHG) auf den Weg zu bringen, das dann 2015 in Kraft trat. Um seine politischen Ziele durchzusetzen, gründete der BPE im Vorfeld in Baden-Württemberg eine Landesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener Baden-Württemberg, um auf die Ausgestaltung des neuen Gesetzes Einfluss zu nehmen, betrieb also eine Spaltung. Diese LAG verschwand aber wieder aus der Psychiatrielandschaft, als das PsychKHG fertiggestellt war. Es kam auch zu mehreren unschönen Szenen in Veranstaltungen, wo Mitglieder des BPE deren Ablauf störten. Dieses Auftreten hatte beim Landespsychiatrietag 2015 wohl seinen Höhepunkt, als sogar der Sozialminister versuchte den Streit zu schlichten.

Als dann der damalige Vorsitzende und sein Geschäftsführer öffentlich äußerten, dass eine Zwangsbehandlung als Ultima Ratio im Einzelfall sinnvoll sein kann, wurden die beiden aus dem BPE ausgeschlossen, weil dies als eine für den BPE vereinsschädliche Äußerung interpretiert wurde. Daraufhin kündigte der LVPEBW seinen Sitz im erweiterten Vorstand des BPE und machte sich vollständig unabhängig vom ihm. Heute bestehen mit dem BPE keinerlei Kontakte mehr und es ist im Vorstand des LVPEBW nicht einmal bekannt, ob sich der BPE seitdem in seiner politischen Haltung und seinem Handeln verändert hat. Derzeit gibt es seitens des LVPEBW keine Bestrebungen wieder auf den BPE zuzugehen, obwohl die frühere Arbeit des BPE nicht grundsätzlich und ausschließlich als schlecht angesehen wird.

Da auch in anderen Bundesländern die psychiatrische Selbsthilfe-Szene nicht überall mit der Entwicklung im BPE einverstanden war und den professionellen Fachverbänden vermehrt Ansprechpartner für bestimmte Themen fehlten, gründete sich im Jahr 2016 als Alternative zum BPE das Bundesnetzwerk Selbsthilfe seelische Gesundheit, kurz NetzG genannt. NetzG wird stark von dem politisch einflussreichen Verein Aktion psychisch Kranke (APK) unterstützt. Zeitweise war der damalige Geschäftsführer des LVPEBW Vorstandsmitglied von NetzG. Heute ist der LVPEBW dort Mitglied und es bestehen gute Kontakte. Somit hat der LVPEBW über NetzG auch die Möglichkeit auf Themen des Bundes Einfluss zu nehmen.

Kooperativer Partner oder streitbarer Gegener?

Während früher eher der Kampf gegen Ungerechtigkeit und Willkür in der Psychiatrie im Vordergrund stand, entwickelte sich der LVPEBW allmählich mehr in Richtung der Verbesserung der psychiatrischen "Versorgung". Auch schon Ursula Zingler war im Gegensatz zum BPE in vielen Fällen zur Kooperation mit dem professionellen Psychiatrie-System bereit. Diese Entwicklung verstärkte sich unter der Führung der ihr folgenden Vorsitzenden. Heute hat sich der LVPEBW für eine weitgehend kooperative Zusammenarbeit im Trialog entschieden und bringt seine Positionen als integrierter Akteur ein. Dies kann durchaus auch kritisch gesehen werden, da durch die jahrelange, gute Zusammenarbeit mit professionellen Verbänden und Fachpersonen Beziehungen, aber auch Abhängigkeiten entstehen, die auch in bestimmten Fällen verhindern können, dass konfliktträchtige Themen auch tatsächlich angesprochen werden. Immerhin decken sich die psychiatriepolitischen Ziele des LVPEBW oft mit denen der professionellen Fachverbände und der Angehörigen, so dass es häufig zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit kommt. Gemeinsam, im Trialog, versuchen die Verbände neue Konzepte und Behandlungsformen gegenüber dem in Teilen noch in Tradition und Gewöhnung verhafteten psychiatrischen Hilfesystem durchzusetzen. Es ist den führenden Personen im LVPEBW zuzurechnen, aber auch einer Psychiatrie, die ihren Schrecken von früher immer mehr verliert, dass die Haltung und das Verhalten des LVPEBW milder geworden ist. Manche bedauern und kritisieren dies, da der LVPEBW inzwischen wohl als weniger streitbar wahrgenommen wird. Ohne Konfliktscheu und mit Streitbarkeit gegen Missstände anzugehen, das braucht es in der Psychiatrie ohne Zweifel immer noch. Es könnte auch sein, dass der LVPEBW aufgrund mangelnder Konfliktbereitschaft wichtige Themen nicht ausreichend voranbringt oder gar nicht erst aufgreift. Das Thema "Zwang und Gewalt" ist ein gutes Beispiel dafür.

Nachdem es gerade hier große inhaltliche Konflikte innerhalb der Selbsthilfe gab, mit zum Teil heftigen Kränkungen auch auf der persönlichen Ebene, hat sich der LVPEBW erst mal von diesem für die Psychiatrie eigentlich so wichtigen Thema zurückgezogen. Man wird sehen, wie es sich darstellt, wenn neue Personen beim LVPEBW in die Leitung kommen.

Als ein Ergebnis dieser Umorientierung des LVPEBW ist dieser heute gut vernetzt auf Landesebene, ist als Interessenvertretung anerkannt und gefragt, seine Stellungnahmen werden in der Regel gehört und ernst genommen. Die Philosophie des LVPEBW ist es, durch ein konstruktives Miteinander und nicht durch ein Gegeneinander seine Positionen durchzusetzen. Diese Strategie ist durchaus immer wieder auch reflexionswürdig, aber sie entspricht der Mentalität der Verantwortlichen im LVPEBW und ist insofern konsequent. 

Der LVPEBW als Dach von Selbsthilfegruppen

Bis 2018 standen auf der Website des LVPEBW ca. 40 Selbsthilfegruppen als dem LVPEBW zugeordnet. Leider wurde versäumt den Kontakt zur Basis systematisch zu pflegen und am Leben zu erhalten. Als dann die Krankenkassen für ihre finanzielle Förderung forderten, dass Beiträge erhoben werden müssen – bis dahin war die Mitgliedschaft im LVPEBW kostenfrei - wurde ein Mitgliedsbeitrag für Selbsthilfegruppen erhoben. Einzelpersonen können nach wie vor kostenfrei beim LVPEBW Mitglied sein. Bisher waren die Selbsthilfegruppen mit dem LVPEBW lose verbunden. Als diese reguläre Mitglieder mit Mitgliedsbeitrag werden mussten, reduzierte sich deren Anzahl erheblich, obwohl die Selbsthilfegruppen den Mitgliedsbeitrag über ihre Pauschalfinanzierung durch die Krankenkassen wieder zurückerstattet bekommen hätten.

Auch heute noch ist der Kontakt zu den lokalen Selbsthilfegruppen sehr verbesserungswürdig. Email- und Telefonaktionen, um neue Selbsthilfegruppen zu werben, verliefen erfolglos. Im Vorstand gibt es sehr unterschiedliches Wissen um die Menschen in den Selbsthilfegruppen vor Ort, das dem Gesamtvorstand nicht zur Verfügung steht. Eine schriftliche Fixierung wäre hier wichtig, damit dieses Wissen mit dem Wechsel von Personen im Vorstand nicht verloren geht.

Projekt Engagierte gewinnen

Im Jahr 2018 war die Situation dann so, dass der Vorstand harmonisch und erfolgreich zusammenarbeitete, dass es aber nur noch wenige Mitglieder gab, die sich ergänzend zum Vorstand intensiv im Verband engagierten. Als Konsequenz darauf startete der LVPEBW das Projekt "Engagierte gewinnen", in dem systematisch daran gearbeitet wurde, dass die Arbeit des Vorstandes auch wieder durch weitere aktive Mitglieder mitgetragen wird. Nachdem vorher der Versuch der Einführung eines Beraterkreises und danach der Aufbau einer Aktivengruppe gescheitert war, war die Hoffnung, mit diesem Projekt Erfolg zu haben, nicht allzu groß. Aber heute, mit Stand 2021, zeigt sich erste positive Wirkung, die Zuversicht aufkommen lässt. Mit der Entscheidung des Vorstandes, auch andere Menschen in Gremien zu delegieren, sind diesbezüglich jetzt schon einige Vereinsmitglieder an die Stelle der Vorstände getreten. Zudem konnte über eine große Werbeaktion ein Engagierten-Verteiler mit aktuell 20 Mitgliedern aufgebaut werden, die alle zusagten Interesse an einer Mitarbeit im LVPEBW zu haben. Darunter sind Menschen, bei denen sich jetzt schon herausragende Kompetenzen zeigen. Wenn es gelänge, dass diese weiteren Aufgaben im LVPEBW übernehmen, dann wäre dies für den LVPEBW ein weiterer großer Schritt vorwärts.

Es zeigt sich aber auch, dass das vermehrte Einbinden von Menschen in die Vorstandsarbeit, mit einem größeren Aufwand für die beiden Vorsitzenden verbunden ist. Neben der inhaltlichen Arbeit an Themen und der Vernetzungsarbeit mit anderen Verbänden kommt nun die Aufgabe auf die Vorstände zu, den neuen Engagierten unterstützend zur Seite zu stehen. Ziel muss es sein, dass die Engagierten selbstständiger und eigenverantwortlicher mitarbeiten. Dies braucht aber Zeit und Geduld auf Seiten des Vorstandes. Optimal wäre es, wenn sich unter den Engagierten Eigeninitiative entwickeln würde und Themen eigenständig vorangebracht werden würden. Wobei sich der Vorstand seiner Verantwortung und seiner Verpflichtung zur Zusammenarbeit und inhaltlichen Koordination selbstverständlich nicht entziehen will. Es gilt die Regel Verantwortung und auch Einfluss da abzugeben, wo es möglich ist, nicht zuletzt, weil die Einbeziehung in Verantwortung zu einer höheren Motivation und Identifikation der Mitglieder führen kann. Dazu gehört aber auch gegenseitiges Vertrauen, denn letztendlich ist es der geschäftsführende Vorstand, der die übergeordnete Verantwortung hat.

In diesem Zusammenhang ist auch zu reflektieren, ob wir im LVPEBW auch eine gute Kultur der Wertschätzung für ehrenamtliche Mitarbeit haben. Es wäre eine Überlegung wert, diese ganz konkret vermehrt zu würdigen. Sei es zum Beispiel über kleine Geschenke oder durch die Organisation eines jährlichen Engagiertenfestes. Bestimmt gibt es hierfür auch noch andere gute Ideen. 

Kontakt zur Presse und Politik

Zwei weitere Schwachstellen wurden erst jetzt im LVPEBW angegangen. Bisher gab es im LVPEBW außer über das Sozialministerium keine eigenen Kontakte zur Politik und Pressearbeit fand nicht statt, außer dass gelegentlich Artikel für Fachzeitschriften oder Buchbeiträge veröffentlicht wurden. Ein Mitglied des Engagierten-Verteilers überlies uns nun freundlicherweise seine Mailverteiler zu für uns relevanten Parteipolitikern und einen relativ großen Presseverteiler, sodass wir schon mit zwei Stellungnahmen diese Personenkreise kontaktieren konnten. Dies ist der erste Schritt hin zur eigenständigen Kontaktaufnahme zu Politikern, die unsere Themen aufgreifen und unterstützen könnten, und zur Presse, um zu größerer öffentlicher Aufmerksamkeit und mehr Wirksamkeit unserer Stellungnahmen zu kommen.

Der LVPEBW und die Angehörigen

Anders als in vielen anderen Bundesländern verbindet in Baden-Württemberg die Psychiatrieerfahrenen mit den Angehörigen eine lange Tradition von guter Zusammenarbeit. Obwohl es durchaus unterschiedliche Sichtweisen im LVPEBW und dem Landesverband der Angehörigen gibt, wie zum Beispiel bei der Bewertung von Zwang und Gewalt in der Psychiatrie, oder bei der Einschätzung mit dem Umgang mit Psychopharmaka, so führte dies nie zu ernsthaften Konflikten. Man kann die unterschiedlichen Positionen stehen lassen und sich auf die anderen zahlreichen Themen konzentrieren, bei denen eine gute Zusammenarbeit möglich ist. Immer wieder verfassten der LVPEBW und der LVBWApK gemeinsame Stellungnahmen und planen jetzt sogar das gemeinsame Projekt IPAGs mit einem Volumen von ca. 280.000 €, das beide Verbände vor eine große Herausforderung stellt, sollte der Förderantrag angenommen werden. 

Das Projekt IPAGs

IPAGs ist die Abkürzung für "Interessenvertretung Psychiatrieerfahrener und Angehöriger im Gemeindepsychiatrischen Verbund stärken". Mit diesem Projekt wurde im LVPEBW Neuland beschritten. Zum ersten Mal wird eine Finanzierung außerhalb der üblichen Selbsthilfeförderung angestrebt. Schon das Vorbereitungsprojekt für IPAGs wurde aus Landesmitteln gefördert und ein Antrag auf Projektförderung wurde bei Aktion Mensch gestellt. Aber auch von den Beteiligten her ergibt sich ein Novum. Es handelt sich um eine verbindliche Zusammenarbeit mit dem Landesverband der Angehörigen mit der Unterstützung von zwei Psychiatrie-Fachpersonen in der AG Partizipation. Dies kann gut als Vorbild für weitere solche oder ähnliche Vorhaben dienen.

Das Projekt IPAGs ist eine Herausforderung und zugleich eine große Chance für den LVPEBW im großen Umfang ein ihm nahestehendes, ursprüngliches Thema anzugehen. Sollte der Antrag bei Aktion Mensch bewilligt werden, wird es sich zeigen, ob der LVPEBW zusammen mit dem Landesverband der Angehörigen ein Projekt in dieser Größenordnung angehen kann. Das würde alles an finanzieller Verantwortung bisher Dagewesene übersteigen. Es wäre schade, wenn die jahrelange Vorbereitung des Projektes nicht das gewünschte Ziel in geplanter Weise erreichen würde und mit weitaus weniger Ressourcen weiterverfolgt werden müsste.

Ein Verband für alle? Namensgebung des LVPEBW

Alles ist im Fluss. War Anfang der 90er Jahre die Bezeichnung „Psychiatrie-Erfahrene*r“ noch ein Fortschritt, weil dadurch nur die Erfahrung mit der Psychiatrie benannt und keine Krankheit oder Diagnose zugeschrieben wird, so wird heute festgestellt, dass das Wort „Psychiatrie-Erfahrener“ im Vereinsnamen manche Menschen abschreckt, die „nur“ in ambulanter psychiatrischer Behandlung oder Patient*in in einer psychosomatischen Klinik waren. Gerade diese Menschen aber könnten oft viel Energie und Wissen beim LVPEBW einbringen. Auch meinen nicht selten Menschen, die Erfahrungen mit seelischen Krisen haben, dass sie sich beim LVPEBW nur engagieren können, wenn sie Erfahrungen in der stationären Psychiatrie gemacht haben. Am Anfang der Verbandsarbeit stand ganz im Vordergrund die Auseinandersetzung mit den konkreten Problemen der psychiatrischen Einrichtungen und Dienste, insbesondere der Kliniken und das kam dann auch in der Namensgebung zum Ausdruck. Dann wurde daneben immer wichtiger sich auch mit Themen wie Partizipation und, Konzepten zu Genesung zu beschäftigen. Es ist eine grundlegende Entscheidung inwieweit sich der LVPEBW weiteren Personengruppen von seelisch erschütterten Menschen zuwendet, was eine große personelle Stärkung und auch die Auswahl neuer, zusätzlicher Themen zur Folge haben könnte. Dies muss gut überlegt sein und auch breit und ausführlich mit den Mitgliedern diskutiert werden.

Deshalb stellt sich heute auch die Frage, ob der Vereinsname „Landesverband Psychiatrie-Erfahrener“ noch zeitgemäß ist. Der Landesverband Psychiatrie-Erfahrener Rheinland-Pfalz (LVPE RLP) hat sich seit ein paar Jahren in Landesnetzwerk Selbsthilfe seelische Gesundheit Rheinland-Pfalz (NetzG RLP) umbenannt. Allerdings bestehen hier auch starke Personalunionen zum NetzG Bundesnetzwerk. Sollte sich auch der LVPEBW umbenennen in Landesnetzwerk seelische Gesundheit Baden-Württemberg (NetzG BW)? Dadurch würde eine Nähe zum NetzG Bundesnetzwerk sichtbar und vielleicht sogar eine vermeintliche Abhängigkeit davon nach außen signalisiert. Will man das? Auch die Namensänderung muss gut überlegt sein unter Einbeziehung der Mitglieder. 

"Bei den Schwächsten beginnen"

Einerseits wäre es an der Zeit, dass sich der LVPEBW der Entwicklung anpasst und alle Menschen mit Erfahrungen mit seelischen Krisen als Zielgruppe anspricht - auch die, die sich von der Bezeichnung Psychiatrieerfahrene*r nicht ohne weiteres angesprochen fühlen. Andererseits wäre das vielleicht eine Abkehr von dem Bekenntnis, sich gerade auch für die schwer psychisch erkrankten Menschen einzusetzen, nach dem Leitsatz des bekannten Sozialpsychiaters Klaus Dörner "Bei den Schwächsten mit der Unterstützung beginnen". Wenn man ehrlich ist, ist dieser Gedanke beim LVPEBW sowieso nicht mehr sehr präsent. Die Hochschwelligkeit der psychiatriepolitischen Arbeit setzt leider einen relativ fortgeschrittenen Genesungsweg der Akteure voraus, sodass die Gefahr für die politisch Aktiven besteht, sich von den schwer psychisch erkrankten Menschen zu entfernen. Es kann auch sein, dass wenn die eigenen dramatischen Erfahrungen mit der Psychiatrie weit zurückliegen, sich die innere Distanz zu den Problemen der gegenwärtig leidenden Menschen vergrößert. Somit muss es das Ziel sein, sich immer wieder auch zu vergegenwärtigen, dass schwer psychisch belastete Menschen häufig zu wenig Unterstützung bekommen, durch das Netz der Hilfen fallen und deshalb besonders auf eine Interessenvertretung angewiesen sind, die ihre Lage auch berücksichtigt. Leider es so, dass die Selbsthilfe nur selten Kontakt zu den Schwächsten bekommt, da es diesen in der Regel nicht gelingt an Selbsthilfegruppen teilzunehmen. Vielleicht könnten hier unter anderem über die IBB-Stellen, EX-IN-Genesungsbegleiter, Sozialpsychiatrischen Dienste und das Betreute Wohnen Kontakte aufgebaut werden, die zur Vermittlung dieses Personenkreises in Selbsthilfegruppen führen. Es kommt häufig vor, dass gerade schwer psychisch erkrankte Menschen nur noch Kontakt zu ihren professionellen Begleitern oder Behandlern haben und/oder isoliert und ausgegrenzt bei ihren Angehörigen leben. 

Weiterentwicklung des Verständnisses von Partizipation

Ein weiterer Ansatzpunkt, um dieser Problematik entgegenzuwirken, ist es, die Psychiatriefachpersonen dazu zu bringen, es mit Partizipation ernst zu nehmen und auf die persönlichen Gegebenheiten und Voraussetzungen der Interessenvertreter*innen einzugehen, soweit es die Komplexität der Thematik zulässt. Partizipation darf nicht nur ein Lippenbekenntnis sein, was es leider oft noch ist. Sowie Partizipation für die Fachpersonen anstrengend, zeitaufwändig und kostenintensiv wird, schwindet nicht selten das Engagement dafür. Aber auch für die Leitung des LVPEBW ist dies relevant, da hier Partizipation gegenüber den Mitgliedern vorgelebt werden sollte.

Menschlicher Umgang

Der LVPEBW blickt inzwischen auf eine 28jährige Geschichte zurück. Sehr viel ist in dieser Zeit passiert. Leider gibt es kein gut gepflegtes Archiv, sodass vieles in Vergessenheit geraten ist. Weiter wird es ein Ziel bleiben, sich weiter zu professionalisieren, was sich auch in der finanziellen Anerkennung der Mitarbeitenden ausdrücken soll. Letztendlich gilt aber die Regel "Arbeit soll uns guttun", vor allem das Ehrenamt. Das setzt eine Zusammenarbeit voraus, bei der wertschätzend und wohlwollend miteinander umgegangen wird. Diese Prämisse sollte über allem stehen, denn vor dem politischen Erfolg steht die Wahl der Mittel und die sollten nach innen und nach außen von Menschlichkeit bestimmt sein. Wenn das gelingt, kann man für den LVPEBW optimistisch in die Zukunft blicken. Leider scheint es so zu sein, dass nicht alle zwischenmenschlichen Konflikte befriedigend gelöst werden können. So ist es manchmal der einzige Weg Distanz zwischen den Konfliktpartnern herzustellen.

Perspektiven Organisationsentwicklung

Vor dem Hintergrund der beschriebenen Komplexität der Aufgaben und Herausforderungen gibt es gute Gründe, sich auch intensiver mit der Organisationsentwicklung des Vereins zu beschäftigen. Es scheint, dass die Aktivitäten des LVPEBW sich eher am Einzelfall ergeben, zu reaktiv sind und ein übergeordneter Plan fehlt. Immer wieder wurden Versuche gemacht entsprechende Übersichten zu entwickeln, aber sie wurden nie ausreichend im Vorstand diskutiert und hatten auf die gegenwärtige Arbeit keinen Einfluss. Es wäre wichtig, hier in Zukunft einen weiteren Schwerpunkt zu setzen, um die Themen, die Gremienarbeit und die Projekte im LVPEBW zu ordnen, die Zuständigkeiten zu klären und zu einer übergreifenden und längerfristigen Strategie zu kommen. Aufgrund der zahlreichen Einzelthemen, die im LVPEBW bearbeitet werden, kommen grundsätzliche, planerische und organisatorische Aspekte seit langem zu kurz. Die Vorstände sollten sich daher gemeinsam auch Zeit nehmen für die Reflexion ihrer Arbeit. Somit könnten neue Organisationsstrukturen geschaffen, umgesetzt werden und ein längerfristig geplantes Vorgehen erreicht werden. Dazu wäre es sehr vorteilhaft, externe Beratung durch entsprechende Spezialisten einzuholen.

Fazit

Man sieht, vieles ist passiert im LVPEBW in fast 30 Jahren. Viele Themen sind in Bearbeitung. Der LVPEBW ist ein anerkannter Akteur in der Psychiatriepolitik auf Landesebene geworden, der durchaus einen gewissen Einfluss auf das Geschehen auf die Psychiatrie in Baden-Württemberg hat. Aber es ist abzusehen, dass es im LVPEBW wieder Rückschritte geben wird, wenn es nicht gelingt mehr Menschen einzubinden, die sich im LVPEBW engagieren, und diese Mitarbeit dann auch zu koordinieren. Da schließe ich auch Psychiatrie-Fachpersonen mit ein, da es zum Beispiel das Projekt IPAGs gut zeigt, wie fruchtbar und hilfreich es sein kann aktive Fachleute bei komplexen Aufgabenstellungen an der Seite zu haben. Man kann sagen, dass der LVPEBW diesbezüglich derzeit so erfolgreich ist, wie seit Jahren nicht mehr.

Es wird sich zeigen, ob es uns gelingt mit genügend Energie und Zeit diesen Weg weiterzugehen, dann hat der LVPEBW gute Chancen noch mehr Einfluss auf die Entwicklung der Psychiatrie in Baden-Württemberg zu nehmen, um somit sein zentrales Anliegen zu verwirklichen: Die Situation und die Befindlichkeit für Menschen zu verbessern, die Erfahrungen mit psychischen Krisen haben.

Rainer Höflacher im Juni 2021

 

 

 

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