Sonntag, 11. August 2019

Selbsthilfe war die Rettung

Ich war im Jahr 1981 mit 19 Jahren zum ersten Mal in stationärer Behandlung in der Psychiatrie. Das sollte nicht das letzte Mal gewesen sein. Inzwischen habe ich 18 Psychiatrieaufenthalte hinter mir und noch mehr akute Zustände.

Meine seelische Erschütterung kennt Zeiten, in denen ich beeinträchtig bin und Zeiten in denen ich ein weitgehend „normales“ Leben führen kann. In akuten Phasen bin ich übermäßig aktiv und euphorisch und es kann sein, dass ich auch Gedanken habe, die nicht mehr dem entsprechen, was die meisten Menschen als Wirklichkeit definieren. Dann wieder gibt es bei mir auch Phasen der Antriebslosigkeit, der Bedrücktheit und der Freudlosigkeit. Es ist schwer sich dabei selbst zu finden. Die Ärzte nennen das schizoaffektive Störung.

Ich habe mit meinen psychischen Besonderheiten schon viel erlebt – auch gesetzliche Unterbringungen und Zwangsmaßnahmen in der Klinik. In den 90er Jahren war ich über Jahre hinweg schwer depressiv und sehr verzweifelt. Ende der 90er ging es mir langsam wieder besser. Ich fand eine Partnerin, mir wurde eine Erwerbsunfähigkeitsrente bewilligt, ich bekam ein neues, sehr hilfreiches Medikament und die Beziehung zu meinem Vater änderte sich grundlegend. Was mir aber nachhaltig half, war meine Entscheidung, mich in der Selbsthilfe seelische Gesundheit zu engagieren. Seit 1999 tue ich das bis heute sehr intensiv.

Zuerst in der Tagesstätte des Sozialpsychiatrischen Dienstes in Stuttgart-Bad Cannstatt, dann in dem von uns Psychiatrieerfahrenen gegründeten und geführten Selbsthilfeverein Offene Herberge e.V. und auch im Landesverband Psychiatrie-Erfahrene Baden-Württemberg e.V., lernte ich andere Betroffene kennen. Durch die Zusammenarbeit und den Austausch mit Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, bekam mein Leben wieder einen Sinn und meine Isolation und Einsamkeit war beendet.

Als ich dann 2009 meine heutige Ehefrau kennen lernen durfte, machte ich nochmals einen großen Schritt nach vorne. Meine Frau wohnte 2 Jahr bei mir in Stuttgart und Ende 2011 zogen wir dann in ihre Heimat Teningen.

Ich hatte das große Glück, dass es in Freiburg bereits den Verein Selbsthilfe mit Köpfchen e.V. gab. Gerade zu diesem Zeitpunkt wurde das Amt des Interessenvertreters im neu gegründeten Gemeindepsychiatrischen Verbund frei und ich durfte dieses Amt 2012 übernehmen, das ich in Stuttgart schon 10 Jahre lang inne gehabt hatte. Auch 2012 gründete ich die Selbsthilfegruppe Psychiatrieerfahrener Emmendingen, die bis heute die Basis meiner privaten Kontakte ist. Dort lernte ich andere Psychiatrieerfahrene gut kennen und es entstanden Beziehungen auf Dauer.

Es gibt in Baden-Württemberg kaum ähnlich gut aufgestellte Selbsthilfe-Regionalverbände wie Selbsthilfe mit Köpfchen e.V. Dort sind ca. 10 Selbsthilfegruppen Mitglied. Unser inklusives Fußballteam ist nicht nur sportlich sehr erfolgreich, sondern es entstehen dort auch viele private Beziehungen unter den inzwischen ca. 30 Menschen, die bei uns Fußball spielen. Es gibt auch Frühstückgruppen je für Männer und Frauen. Achtsamkeitstraining und Freizeitangebote, wie Wandern und Kegeln können bei uns wahrgenommen werden.

Ein besonderes Projekt gelang uns 2018/2019: Selbsthilfe mit Köpfchen produzierte zusammen mit der Firma „Sandra Beuck│Medien“ das fünfminütige Video „Borderline verstehen“ und ein beeindruckendes Interview zu diesem Thema, das man auf www.smkev.de/borderline-video/ ansehen kann.

Jede und jeder geht bekanntlich seinen eigenen Weg. Für mich war die Selbsthilfe Psychiatrieerfahrener die Rettung und inzwischen wurde das dortige Engagement zur Berufung. Man wird sehen, wie es weitergeht.

Rainer Höflacher, stellv. Vorsitzender Selbsthilfe mit Köpfchen e.V.

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